: Studium und Ausbildung im Doppelpack
Qualifizierung Mit 95.000 Studierenden bundesweit boomt das duale Studium. Die Abbruchquoten sind gering, doch die Regeln zur Absicherung und Vergütung der Studierenden durch die Betriebe noch uneinheitlich
von Joachim Göres
Vor dreieinhalb Jahren hat Anika Wohlers mit ihrer Ausbildung begonnen, in einem Fitnessstudio in Hannover. Jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss: Voraussichtlich im Januar bekommt sie den Titel Bachelor of Arts Fitnesstraining. Die 22-Jährige ist eine von 95.000 dual Studierenden in Deutschland. Zusätzlich zu ihrer betrieblichen Ausbildung besucht Wohlers die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement. Die staatlich anerkannte private Hochschule zählt 7.100 Studierende, die an zwölf Studienzentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz regelmäßig zu mehrtägigen Präsenzphasen zusammenkommen.
Wohlers fährt alle sechs Wochen zum Studienzentrum nach Köln. Dort wird sie von Dozenten in den Fächern Trainingslehre, Ernährung, medizinische Grundlagen, BWL, Marketing und Sportpädagogik unterrichtet. Zu Hause bereitet sie den Stoff abends nach der Arbeit und am Wochenende nach, denn an der nächsten Präsenzphase kann sie nur teilnehmen, wenn sie zuvor einen Online-Test besteht.
Wer neben der Ausbildung noch studiert, dem bleibt nicht viel Zeit für andere Dinge. Wohlers hat mehrere Jahre in der Judo-Bundesliga gekämpft – den Leistungssport hat sie inzwischen aufgegeben. „Auch der Kontakt zu Freunden ist weniger geworden. Das hängt auch mit meinen Arbeitszeiten im Fitnessstudio zusammen“, sagt sie. Warum nimmt Wohlers das in Kauf? „Ich kann die Kenntnisse aus dem Studium gleich im Beruf anwenden, das gefällt mir. Außerdem spielt das Geld eine Rolle.“ Der Arbeitgeber zahlt die Studiengebühren von monatlich 330 Euro. Hinzu kommt die Ausbildungsvergütung, die im ersten Jahr bei 325 Euro liegt. Davon muss Wohlers die Fahrten nach Köln und den dortigen Aufenthalt bezahlen. Letztlich aber spielt für sie die berufliche Perspektive eine entscheidende Rolle: „Ich will mich selbstständig machen, darauf kann ich mich durch das duale Studium gut vorbereiten.“
Wer ein solches Studium absolviert, strebt meist eine Leitungsposition an und zeigt eine hohe Leistungsbereitschaft, um dieses Ziel zu erreichen – das ist ein Ergebnis der Studie „Dual Studieren – und dann?“ des Instituts Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen. Die Autoren der Erhebung haben 2015 online 9.285 dual Studierende in ganz Deutschland befragt. Bei den Befragten ist der höchste Bildungsabschluss der Eltern in 58 Prozent aller Fälle eine Berufsausbildung, bei den Studierenden insgesamt liegt dieser Anteil bei 27 Prozent.
Große Unterschiede gibt es laut der Studie zwischen einzelnen Branchen, was die Bedingungen des dualen Studiums betrifft. 73,7 Prozent aller dual Studierenden aus dem Bereich der Energie- und Wasserversorgung sagen, dass die Freistellung für Lernzeiten vor Prüfungen gut oder sehr gut geregelt gewesen sei – bei den Studierenden aus dem Gastgewerbe bestätigen dies nur 33,5 Prozent. Generell gilt: Je größer der Betrieb, umso größer ist die Zufriedenheit mit der Betreuung und den Studienbedingungen. Und die Abbruchquote ist beim dualen Studium mit sieben Prozent deutlich geringer als im Bachelor-Studium (28 Prozent).
Fast drei Viertel der dual Studierenden haben eine Zusage für eine Übernahme. Dabei musste sich jeder Fünfte sogar verpflichten, längere Zeit nach dem Ende des dualen Studiums dem Ausbildungsbetrieb treu zu bleiben – so sollen sich die Ausgaben für die Studiengebühren für den Arbeitgeber rentieren, gerade in Berufen mit Fachkräftemangel.
Mit dem Fachkräftemangel hat auch das Handwerk zu tun. Durch die wachsende Popularität des dualen Studiums wird dieses Problem aber nicht gelöst, sondern verschärft sich weiter, da die Zahl der Bewerber für eine handwerkliche Ausbildung dadurch sinkt – so die Erfahrung von Nadine Grün, bei der Handwerkskammer Hannover für die Beratung der Betriebe zuständig. Für insgesamt 43.500 Ausbildungsplätze fanden sich in diesem Jahr in Deutschland keine passenden Bewerber.
Als Reaktion darauf bieten die Handwerkskammer Hannover und die Fachhochschule des Mittelstands seit 2014 das „Triale Studium Handwerksmanagement“ an. Innerhalb von viereinhalb Jahren kann man den Gesellen-, den Meister- und den Bachelortitel erwerben. „Wer an der Uni das Studium abbricht, steht mit leeren Händen da. Wer bei uns den Bachelor nicht schafft, hat zumindest den Gesellen- bzw. Meistertitel“, erklärt Grün. Von den derzeit 20 Studierenden sind die Hälfte Uni-Abbrecher.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat vor Kurzem eine Bestandsaufnahme zum dualen Studium vorgelegt, das es seit den 70er-Jahren gibt. Danach hat sich die Zahl der Studiengänge innerhalb von zehn Jahren verdreifacht – heute gibt es mehr als 1.500 duale Studiengänge mit knapp 95.000 Studierenden. 42 Prozent von ihnen studieren Wirtschaftswissenschaften, 39 Prozent Ingenieurswissenschaften, je 12 Prozent Informatik bzw. Erziehung, Gesundheit, Pflege.
In seiner Stellungnahme kritisiert der DGB eine Verdrängung von Auszubildenden durch dual Studierende, etwa in kaufmännischen Berufen. „Die hohe Arbeitsbelastung der Studierenden muss reduziert werden. Und wir brauchen klare Standards für ihre vertragliche Absicherung und Vergütung“, fordert die stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Elke Hannack.
Ergebnis der Studie „Dual Studieren – und dann?“
So müssten in jedem Fall ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen werden und Unternehmen immer für die Studiengebühren aufkommen. Die Praxis sehe aber oft anders aus. Der Reifenhersteller Conti hat kürzlich als einer der ersten Dax-Konzerne mit den Gewerkschaften eine Tarifvereinbarung für seine 520 dual Studierenden abgeschlossen, in dem die Bezahlung und die Übernahme der Studiengebühren geregelt wird.
Laut Rita Meyer, Professorin am Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung an der Uni Hannover, werden in Niedersachsen 72 duale Studiengänge angeboten. Davon sind 51 ausbildungsintegriert (Berufsausbildung plus Studium) und 21 praxisintegriert – neben einem Studium finden Praxislernphasen in einem Unternehmen statt.
Meyer hat 77 berufsbegleitende Studiengänge aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik näher unter die Lupe genommen. Dabei hat sie von dual Studierenden immer wieder die Überzeugung gehört, dass man studiert haben muss, um später im Beruf autonom handeln zu können. Deutliche Kritik formuliert Meyer an der häufig unzureichenden Didaktik. „Der Unterricht findet überwiegend durch Praktiker statt, doch die Studierenden brauchen auch Theorie“, glaubt Meyer. Sie hat aus ihren zahlreichen Untersuchungen zum Thema einen Schluss gezogen: „Jeder sollte zwei Jahre eine Berufsausbildung machen, erst danach dürfte mit dem Studium begonnen werden.“
Anika Wohlers hat vor dreieinhalb Jahren mit 30 Kommilitonen im Studiengang Fitnesstraining angefangen, 20 haben bis zum Bachelor durchgehalten. Sie will noch vier Semester bis zum Master weiterstudieren. „Da kann ich die Schwerpunkte betriebliches Gesundheitsmanagement oder Finanzen und Controlling vertiefen.“ Doch sie ahnt: „Dafür werde ich mehr tun müssen als für den Bachelor.“
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