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Ruhe für die Platzhirsche

Biathlon In Oberhof will man beim Weltcup das ramponierte Image ein wenig aufbessern. Im deutschen Team hat es die zweite Reihe schwer, sich zu verbessern

Aus Oberhof Andreas Morbach

Ein Heimspiel hat Erik Lesser in Oberhof ohnehin, aber diesmal bekommt der wetterfeste Thüringer dazu passende Rahmenbedingungen serviert. „Er zuckt nicht, sondern ist da und trainiert – auch wenn es hundsmiserable Verhältnisse sind“, sagt Bundestrainer Mark Kirchner über den Doppelweltmeister von 2015. Zum Start in den Oberhofer Weltcup werden die Skijäger am Donnerstag mit Windböen und Temperaturen um minus 10 Grad konfrontiert. „Ich bin entspannt, erwarte einen Hexenkessel“, sagt der 28-jährige Lokalmatador vor dem Männer-Sprint, dann wirbt er noch für seine Hausstrecke: „Es freut mich, dass der Weltcup in diesem Jahr stattfindet. Oberhof ist auf jeden Fall ein weltcupwürdiger Ort.“

Solche Kommentare können die Organisatoren im Thüringer Wald gut brauchen. Im letzten Winter mussten sie die Rennen absagen, weil wegen der milden Temperaturen zu wenig Kunstschnee produziert worden war. Ruhpolding sprang ein, und das ohnehin ramponierte Image des Biathlon-Standorts Oberhof hatte zusätzliche Kratzer abbekommen. Lessers Trainingskollege Arnd Peiffer („Es sieht nach vernünftigen Bedingungen aus, das wünschen wir Athleten uns“) formuliert deshalb ebenfalls freundliche Worte. Auch wenn der lange Niedersachse seine Wahlheimat zuletzt kaum gesehen hat.

Nach dem ausgedehnten Trainingslager in Norwegen im November, drei Weltcups im Dezember und der Weihnachtszeit bei der Familie im Harz zog es den Sprintweltmeister von 2011 über Silvester nach Österreich. In Obertilliach ging er schon mal auf Tiroler Tuchfühlung zum 160 Kilometer nördlich gelegenen Hochfilzen, wo in fünf Wochen die Biathlon-WM beginnt. Und seine Oberhofer Wohnung, die er seit achteinhalb Jahren hat, verstaubte noch ein bisschen mehr.

Noch tiefer verwurzelt mit der Anlage ist Erik Lesser, Absolvent des Sportgymnasiums Oberhof. Und auch der Schwarzwälder Benedikt Doll ist regelmäßig in Kirchners Trainingsgruppe mit dabei. Das arrivierte Männer-Quartett des DSV komplettiert Simon Schempp, mit Basiscamp in Ruhpolding.

Alle zusammen können dabei auf die Bierruhe vertrauen, mit der ihr Chef die Besetzung des Teams moderiert. Der dreimalige Olympiasieger stärkt seinen Leistungsträgern auch in schlechteren Phasen stets den Rücken. Wie vor einem Jahr bei Lesser, der die WM-Norm erst Mitte Januar in Ruhpolding erfüllte. Auch Peiffer weiß das zu schätzen. „Bei uns kann man wirklich in Ruhe arbeiten. Das ist sehr angenehm – mit Leuten zusammenarbeiten zu dürfen, die man schon länger kennt, die einen ähnlichen Anspruch haben und ähnlich ticken“, betont der 29-Jährige, fügt aber hinzu: „Es ist nicht so, dass wir den Job auf Lebenszeit haben und uns zurücklehnen. Da ist kein Schlendrian eingezogen.“

Selbst Top-Referenzen helfen nicht immer

Allerdings treibt den Bundestrainer die Sorge um, wer seinen Spitzenkräften mal mittelfristig nachfolgen soll. „Mit Blick auf die WM und die anstehenden Weltcups würden wir uns freuen, wenn die vier Etablierten durch den einen oder anderen Sportler Verstärkung bekämen. Da sind wir noch ein wenig auf der Suche“, gesteht Kirchner.

Im Dezember gab er abwechselnd Matthias Bischl (28), Florian Graf (28), Matthias Dorfer (23) und Roman Rees (23) eine Bewährungschance. Allesamt keine Youngster mehr – und abgesehen von Grafs achtem Platz beim Einzel in Östersund allesamt mit mäßigen Ergebnissen. In Oberhof, das mit seiner Bewerbung um die WM 2020 vor vier Monaten krachend gescheitert war, dürfen sich Bischl und Graf erneut beweisen. Deutschlands Platzhirsche zu bedrängen ist jedoch nicht einfach – selbst Top-Referenzen helfen da nicht immer.

Benedikt Doll (26) etwa wartete vor den Spielen in Sotschi vergeblich auf eine Chance im Weltcup-Team, trotz exzellenter Resultate im zweitklassigen IBU-Cup. Weil Mark Kirchner vor Olympia keine Unruhe in seinem Team schüren wollte. „Wir sind“, beschreibt Arnd Peiffer die Personalpolitik des Chefcoachs, „zwar eine Individualsportart, aber das Team ist dennoch ziemlich wichtig. Und unser Teamgeist ist gut, auch nach all den Jahren – oder gerade deswegen.“ Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

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