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Ein komplizierter Spagat

Hoffnungsträger Nach jahrelanger dilettantischer Transferpolitik sollJens Todt, der neue Sportdirektor des Hamburger SV, den Verein wieder auf den rechten Weg bringen. Die Zeit drängt

HAMBURG taz | Nach seiner Karriere als Fußballprofi, die ihn nach Freiburg, Bremen, Stuttgart und in die deutsche Nationalmannschaft geführt hatte, arbeitete Jens Todt als Journalist. Er war Volontär und Redakteur beim Spiegel-Verlag, hielt sich allerdings vom Fußball fern. Er hatte keine Lust, über die Branche zu schreiben, der er selbst entstammte, stattdessen berichtete er über Jugendgewalt und Gerichtsprozesse, oft spielten seine Fälle in Berlin. Todt kennt sich also aus mit komplizierten Themen. Diese Eigenschaft dürfte ihm bei seinem neuen Job nützlich sein. Er soll Sportchef beim Hamburger SV werden. Bei jenem Klub also, der seit Jahren mit Chaos auf allen Ebenen auffällt anstatt mit gutem Fußball, und bei dem auch die aktuelle Saison wieder einmal turbulent verläuft.

Der Verein hat im Sommer viel Geld in die Mannschaft gesteckt, mehr als 30 Millionen Euro, trotzdem droht der Abstieg. Trainer Bruno Labbadia musste gehen, für ihn kam Markus Gisdol. Im Dezember wurde Klubchef Dietmar Beiersdorfer von Heribert Bruchhagen abgelöst. Beiersdorfer hatte seit Frühjahr auch den Manager-Posten besetzt und hätte dieses Amt sogar weitermachen dürfen, auch nach seiner Abberufung als Klubchef. Doch darauf hatte Beiersdorfer keine Lust. Deshalb jetzt also Todt. Mit seiner Verpflichtung soll die ewig lange Suche nach einem Sportchef enden, die dem HSV in den vergangenen Wochen und Monate kübelweise Spott eingebracht hatte.

Viel Zeit zur Eingewöhnung hat der neue Mann nicht. Er muss die verfehlte Transferpolitik des Sommers korrigieren, und zwar sofort. Vor der Saison investierte der HSV vor allem in die Offensive, in Spieler wie Filip Kostic aus Stuttgart, Alen Halilovic aus Barcelona oder Bobby Wood von Union Berlin, vergaß aber, sich um die Abwehr zu kümmern. Die zweitschlechteste Verteidigung der Bundesliga hinter dem SV Werder ist das Ergebnis. In der bis Ende Januar laufenden Transferphase sollen jetzt neue Spieler für die Innenverteidigung und das defensive Mittelfeld her.

Kurz vor dem Jahreswechsel präsentierten die Hamburger den ersten Zugang, Kölns Abwehrchef Mergim Mavraj. Er kommt für angeblich 1,8 Millionen Euro und hat einen Vertrag bis 2019 unterschrieben. Bis zu drei weitere Verpflichtungen für die Defensive sind geplant. Diese Transfers soll Todt abwickeln.

Allerdings ist fraglich, welchen Gestaltungsfreiraum er dabei hat. Denn Klubchef Bruchhagen wird in Abstimmung mit Trainer Gisdol schon vorgearbeitet haben bei der Suche nach neuen Spielern. Eigentlich hatte Bruchhagen sogar geplant, die aktuelle Transferperiode alleine zu bestreiten, ohne Manager. Vor Ende Januar werde sich in Sachen Sportchef nichts tun, hatte er in Aussicht gestellt. Nun ging es doch schneller.

Mittelfristig muss Todt einen Spagat schaffen. Er muss die Kassen der Hamburger schonen, zugleich aber eine konkurrenzfähige Mannschaft aufbauen. Bei seinem vorherigen Arbeitgeber, dem Karlsruher SC, war es ihm gelungen, aus vergleichsweise kleinen Mitteln viel zu machen. Vor anderthalb Jahren wäre sogar fast der Aufstieg gelungen, in der Relegation scheiterten die Karlsruher an, genau, Todts neuem Arbeitgeber, dem HSV.

Der Manager hat den Ruf, ein guter Verkäufer zu sein. Diese Qualität ist beim HSV sofort gefragt

Der Manager hat den Ruf, ein guter Verkäufer zu sein. Diese Qualität könnte er auch in Hamburg umgehend einbringen. Bei guten Angeboten könnten Spieler wie Halilovic, Pierre-Michel Lasogga oder der schwedische Offensiv-Reservist Nabil Bahoui gehen. Mittelfristig stehen für Todt einige interessante Entscheidungen an. Die Verträge von Spielern wie René Adler, Emir Spahic und Johan Djourou laufen aus. Erschwert wird die weitere Planung durch die unsicher Zukunft des HSV. Es ist nicht klar, ob die Hamburger in der kommenden Saison noch in der ersten Liga spielen – oder in der zweiten.

Hendrik Buchheister

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