piwik no script img

Verfall der WährungErdoğan kämpft um die türkische Lira

Wer US-Dollar in die heimische Währung tauscht, bekommt einen Gratis-Döner. Aber das wird die Krise kaum stoppen.

Einkaufen macht kein Spaß, wenn Importwaren immer teurer werden Foto: dpa

BERLIN taz | Erstmals seit 2009 ist die türkische Wirtschaft geschrumpft. Lag das Wirtschaftswachstum 2011 noch bei 10 Prozent und 2015 noch bei 4,5 Prozent, sank im dritten Quartal 2016 das Bruttoinlandsprodukt des einstigen „anatolischen Tigers“ um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch der Export schrumpfte um 7 Prozent. Die Bürger spüren die Krise – und drosselten die Konsumausgaben um 3,2 Prozent.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht seine Macht durch die Wirtschaftskrise erstmals seit Langem wieder ernsthaft bedroht – und schlägt in der für ihn typischen Weise um sich. „Der Angriff auf unsere nationale Währung ist ein neuerlicher Putschversuch“, behauptet er. „Nachdem sie es mit militärischen Mitteln im Juni nicht geschafft haben, die Regierung zu stürzen, versuchen sie es nun mit ökonomischen Mitteln“.

„Sie“, das sind die bekannten Widersacher der Gülen-Bewegung und der kurdischen PKK im Verbund mit „imperialistischen“ auswärtigen Kräften, die der Türkei schaden wollten.

Mit großer Geste rief Erdoğan dazu auf, das „Vaterland zu retten“. Jeder türkische Patriot, der über ausländische Devisen verfügt, solle diese in Lira umtauschen, um so den Kurs der heimischen Währung zu stützen. Umgehend boten einige Döner-Restaurants Kunden, die 200 Dollar in Lira umgetauscht hatten, ein Gratis-Essen an. Ähnliche Offerten gibt es von Bäckern oder Friseuren. Friedhofssteinmetze meißeln sogar bei entsprechender Dollarmenge einen Grabstein umsonst.

Die Devisenreserven reichen nicht

Klingt kurios, hat einen bedrohlichen Hintergrund. Die oppositionelle Tageszeitung Cumhuriyet schrieb kürzlich, die staatlichen Devisenreserven würden kaum noch ausreichen, um die nächsten Rechnungen für Öl – und Gasimporte zu zahlen. Erdoğan hat deshalb den Russen angeboten, Öl und Gas künftig in Rubel zu bezahlen und Russland die Möglichkeit zu geben, in der Türkei in Lira einzukaufen.

Dasselbe möchte er im Handel mit Iran und China erreichen. Die Türkei benötigt dringend Devisen. Sämtliche staatlichen Institutionen wurden bereits angewiesen, ihre Dollarreserven umzutauschen. Das Verteidigungsministerium musste seine letzten 260 Millionen Dollar hergeben – und kann nun weder ausländische Kämpfer in Syrien bezahlen noch im Ausland Waffen kaufen.

Nun versuchen sie es mit ökonomischen Mitteln

Präsident Erdoğan

Dabei sind sich viele Ökonomen einig, was zum Verfall der Lira geführt hat: Neben der allgemeinen Schwäche vieler Schwellenländer sind das vor allem hausgemachte Gründe. Die Repressionspolitik Erdoğans, die damit verbundene Rechtsunsicherheit und das Streben des Präsidenten nach unumschränkter Macht führen offenbar dazu, dass sich Investoren nicht mehr in der Türkei engagieren wollen.

Ausländische Direktinvestitionen sind im ersten Halbjahr 2016 um über die Hälfte zurückgegangen. Dass Erdoğan nun die Zentralbank zwingt, die Zinsen zu senken, lässt auch alle Spekulanten einen Bogen um die Türkei machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich musste zweimal gucken, um mich zu versichern, dass ich nicht in der Wahrheit gelandet bin.