: Kämpfe um Kampfläufer
UMWELT Wenn in Brandenburg Naturschützer gegen Schweinemastbetriebe oder Windkraftanlagen mobil machen, ist das nicht selten ein Kampf von West-Ökologen gegen West-Ökonomen. Sowohl Investoren als auch Naturschützer kommen aus dem Westen
von Helmut Höge
Im Januar 2000 gelang es einem osteuropäischen Wolf, illegal über die Oder nach Deutschland einzuwandern. Er wurde eingefangen und in den Eberswalder Zoo verbracht. Der Tagesspiegel titelte: „Die Angst vor dem Osten oder Sibirien ist unheimlich nah.“ Der Wolf, von den Ostbrandenburgern „Iwan“ genannt, hatte nur drei Beine, vermutlich war er zuvor in Polen in eine Wolfsfalle geraten. Das hinderte ihn jedoch nicht, bei Ossendorf ein Rind zu töten und eine deutsche Schäferhündin namens Xena zu schwängern.
Zehn Wochen später machte Bild bereits mit einer großen Story über die Geburt der „Mischlinge“ auf, die nach Meinung von „Wolfs-Experten“ sofort getötet werden müssten, weil sie für immer „unberechenbar“ blieben. Dann vollführte die Springerpresse jedoch eine Wendung – und seitdem werden wir über den dreibeinigen Wolf, der nun offiziell Naum heißt und inzwischen ein eigenes Freigehege in der Schorfheide besitzt, regelmäßig unterrichtet. Auch die Berliner Zeitung lieferte zunächst zwei Seiten Hintergrundmaterial über den „Todfeind Wolf“ – von Jack Londons „Wolfsblut“ bis zu Hermann Hesses „Steppenwolf“. Dann vermeldete sie: Der eingefangene dreibeinige Wolf sei immer noch sehr scheu, habe mehrmals versucht auszubrechen und könne nicht mit seinen deutschgeborenen Artgenossen zusammengelegt werden, weil einer der Männchen des Rudels sich weigere, „Unterordnung zu signalisieren“.
Fast eine RAF-Story! Inzwischen haben sich in der Lausitz etwa 20 Wölfe wild angesiedelt. Sie werden ganzjährig geschützt. Es wurde darüber hinaus ein „Wolf-Wiederansiedlungs-Management-Plan“ in Brandenburg verabschiedet. Damit werden unter anderem die von den Wölfen gerissenen Schafe, die man den Schäfern finanziell ersetzt, mit den Mehreinnahmen durch den Wolfstourismus gegengerechnet.
So weit so gut, inzwischen haben sich die Wölfe auch in anderen ostdeutschen Regionen vermehrt, ebenso die Versuche der Landwirte, ihre Tiere vor ihnen zu schützen: Elektrozäune, große scharfe Hunde, Bewegungsmelder, die Beleuchtung und Sirenen angehen lassen. Und sowieso wird regelmäßig gefordert, die Wölfe wieder wie einst abschießen zu dürfen.
Noch einem Tier haben die Naturschützer in Ostdeutschland erneut Bewegungsspielraum verschafft: dem Biber. In den Städten freute man sich darüber: noch mehr authentische Natur in Ostelbien. Aber unter den Landwirten und Gartenbesitzern im Biberland formierte sich eine biberfeindliche Bürgerinitiative. Unter ihnen zu meinem Erstaunen die für indigene Völker sich engagierende Biologin Hannelore Gilsenbach im Ökodorf Brodowin. Ein Foto in der Kreiszeitung zeigt sie verärgert neben einem von Bibern zernagten Obstbaum. Es ist erstaunlich, sie als Antibiber-Aktivistin zu sehen, weil sie mir einmal fast stolz einen Brombeerbusch im Garten zeigte, auf dem etliche Laubfrösche saßen, und dann im Gras eine Grille fing und mir erklärte, die seien auch schon wegen der Klimaerwärmung bis hier in den Norden vorgedrungen. Die Grille komme aus Italien.
Zum anderen hatte ich gedacht, sie sei für die Selbstregulierung von Naturschutzgebieten, wobei im Übrigen das Brodowiner das älteste deutsche Naturschutzgebiet ist und Hannelore Gilsenbachs Mann Reimar im Jahr 1981 die „Brodowiner Gespräche“ begründete, in denen es auch und gerade um ökologische Probleme in der DDR und im Rest der Welt ging.
In Brandenburg engagierten sich bisher Intellektuelle wie sie eher in Bürgerinitiativen, die beispielsweise gegen den Bau von riesigen Schweinemastanlagen protestieren. Da gibt es die BI „Uns stinkts schon lange“ in Reichenow (Amt Barnim-Oderbruch), wo einer der größten Agrarunternehmer eine solche Mastanlage plant. Da veranstaltet die BI in Haßleben (Uckermark) gegen den Bau einer industriellen Schweinemastanlage eine Protestdemonstration. Es gibt in dem Ort zwei BIs – sie werben in der Mitte des Dorfes mit großen Schildern. Auf dem einen steht „36.000 Schweine machen den Touristen Beine“, auf dem anderen: „Gemeinsam in die Zukunft – Aktion pro Schwein“. Es geht um die Wiederbelebung einer großen Mastanstalt für 140.000 Schweine, die nach der Wende aus Umwelt- und Tierschutzgründen geschlossen wurde.
So hatte die Schweinegülle zwei Seen in tote Gewässer verwandelt. Jetzt ist es jedoch kein sozialistischer Fleischversorgungsplan mehr, sondern ein holländischer Unternehmer, Harry van Gennip, der dort ganz groß „investieren“ will. Er besitzt bereits seit 1994 eine für 65.000 Schweine ausgelegte Anlage im altmärkischen Sandbeiendorf. In Haßleben plante er 1994 eine für 85.000 Schweine. Die Nachdenklichen dort und in der Umgebung gründeten daraufhin eine Bürgerinitiative gegen diesen „Wahnsinn“.
Unterstützung bekamen sie von allen Ökos und Grünen und von überall. Sie setzten sukzessive eine Verkleinerung der Anlage durch. Auf der anderen Seite war man aber auch nicht untätig: Der holländische Investor holte sich unter anderem Helmut Rehhahn als Berater, einst SPD-Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt und davor Leiter einer Bullenprüfstation in der DDR. „10.000 Mastschweine. Alles andere ist Spielerei“, erklärte er dem Spiegel.
Ein anderer Schweinemäster verriet dem Freitag, warum es ihn und andere „Holländer“ nach Osten zieht: „In Holland wirst du als Schweinezüchter ständig wie ein Krimineller behandelt. Das ist in Ostdeutschland anders. Hier kannst du noch Unternehmer sein. Umweltkosten spielen keine Rolle.“ Van Gennip fand in Haßleben Unterstützung im langzeitarbeitslosen Teil der Bevölkerung, der sich von seinem gigantischen Schweineprojekt ganz, ganz viele Arbeitsplätze versprach und deswegen eine Bürgerinitiative für ihn gründete.
Anderswo geht es ähnlich zu im Osten, der daneben noch mit Windkraftanlagen zugepflastert wird, die man im reichen Bayern und Baden-Württemberg nicht haben will; von dort kommen bloß die Investoren. An BIs gegen Schweinemastanlagen seien genannt: die BI der Gastronomen gegen eine Schweinemast in Klausdorf (Brandenburg), die BI Mahlwinkel (Altmark) gegen eine weitere Schweinemastanlage von Harrie van Gennip, die BI gegen Schweinemast in Oldisleben (Thüringen) und die BI gegen die Schweinemastanlage in Gerbisbach (Sachsen-Anhalt). Es gibt noch etwa zwei Dutzend weitere.
An BIs gegen Windkraftanlagen seien genannt: die Freier Wald e. V. in Zossen, die BI gegen ein Windfeld Wolfsmoor (Brüssow/Uckermark), die BI Rettet Brandenburg (vor der Zerstörung durch Windparks), die BI Windkraftgegner Ladenthin in Uecker-Randow, die BI Stahnsdorf Süd gegen die Errichtung von raumbedeutsamen Windkraftanlagen und so weiter.
Aber was im Westen ein „Kampf“ des „kleinen Mannes“ gegen naturzerstörende Großprojekte ist, stellt sich östlich der Elbe als ein Ost-West-Konflikt dar, insofern sowohl die Investoren als auch die Naturschützer aus dem Westen kommen. In dem Roman „Unterleuten“ von Juli Zeh wird in der Prignitz ein Vogelschutzgebiet und seine Westbetreuer vom „Öko-Kapital“ aus dem Westen ausgebremst, das dort im Kampfläuferschutzgebiet zehn Windkraftanlagen aufstellen will. Sie können das auch gegen alle naturschützerischen Abwehrmaßnahmen durchsetzen, woran schließlich die Gemeinschaft des davon unmittelbar betroffenen, zum Teil davon aber auch profitierenden Dorfes Unterleuten zerbricht. Auch die dortige Kampfläuferpopulation wird sich wegen der riesigen Rotoren wahrscheinlich woanders ansiedeln.
Den Unterschied zwischen den Auseinandersetzungen der BIs in Ost und West soll ein Beispiel aus Schleswig-Holstein deutlich machen. Da wurde ebenfalls heftig um Gänse gestritten – jahrzehntelang. Es war ein Kampf zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Natur- und Kulturland. Die Bauern und das von ihnen einst durch Eindeichung geschaffene Ackerland auf der einen Seite – auf der anderen sibirische Ringelgänse und ihre deutschen Sprecher: Biologen und Umweltschützer. Es ging dabei um die Einrichtung des Nationalparks Wattenmeer, wie er von linken Ökologen bis hin zur Kieler Landesregierung geplant war.
„Die Grünen sind schlimmer als die Gutsherren einst“, so sagte es 2001 ein ihnen unterlegener friesischer Bauer. Während das Bundesamt für Naturschutz stolz bekannt gab, dass sich die Ringelgänse in den „Schutzgebieten“ bereits auf eine andere Nahrung umgestellt hätten: „Sie nutzen die landwirtschaftlichen Kulturen im Küstenbereich sowie die Salzwiesen und haben dadurch im Winterquartier und auf dem energiezehrenden Heimzug in die Brutreviere eine bessere Ernährungsgrundlage.“ Ein Beobachter der Auseinandersetzungen, der Ethnologe Werner Krauss, schrieb anschließend: „Der jahrzehntelange Kampf hat Wunden hinterlassen, aber er hat sich auch gelohnt.“ Dazu zitierte er einen der beteiligten Biologen: „Als die Bauern die Ringelgänse noch bejagten und zu vertreiben versuchten, hatten sie eine wesentlich höhere Fluchtdistanz.“
Eine Art BI-Petition haben jüngst brandenburgische Bauern und Schäfer im Umkreis des Spandauer Forsts eingebracht, wo sich in den letzten Jahren die zuvor dort ausgestorbenen Kolkraben angesiedelt hatten. Inzwischen umfasste ihre Kolonie gut 20 Brutpaare. Die Bauern drumherum beantragten eine Sondergenehmigung für ihren Abschuss, mindestens aber eine staatliche Entschädigung für die von den Kolkraben getöteten Kälber, Ferkel und Lämmer – so wie das bei den Wölfen, Bibern und Ringelgänsen gehandhabt wird.
Die Behörde konnte das Begehren in diesem Fall jedoch leicht abwehren: Der Ökoethologe am biologischen Institut der Universität Potsdam, Dieter Wallschläger, hatte zuvor die Mär widerlegen können, dass Kolkraben diese Tiere töten und fressen: Weil sie nicht die Kraft im Schnabel haben, brauchen sie Wallschläger zufolge Wölfe, Füchse, Hunde oder Greifvögel, um einen Kadaver „aufzubrechen“, sie sind deren „Nachnutzer“ – und kommen im Übrigen nicht aus dem Westen, sondern aus Mecklenburg.
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