: Avantgarde gegen die „Lügenpresse“
PropagandaKarl-Eduardvon Schnitzlers „Schwarzer Kanal“ war die berüchtigtste Sendung des DDR-Fernsehens. Nun kann man das Agit- prop-TV auf DVD nachschauen – und Parallelen zum Heute entdecken
von Gunnar Leue
„Er begeht folkloristische Falschmünzerei und deformiert den guten Geschmack am echten Volkslied. Dieser Wandervogel mit der immer gleichen und immer gleich lauten Lederstiefelstimme, der mal auf die Frage, ob er auch auf NPD-Veranstaltungen singen würde, antwortete: Warum nicht.“
Kann ein Mann, der so 1973 über Heino sprach, ein dummer, böswilliger Mensch gewesen sein? Dumm war Karl-Eduard von Schnitzler, der die Sätze in seiner Sendung „Der schwarze Kanal“ sagte, nicht. Er war ein hochintelligenter Mann mit einem glaubhaft antifaschistischen Gewissen, zu dem ihn die eigene adlige Berliner Sippschaft getrieben hatte. Zu seinen Vettern gehörten ein Steigbügelhalter von Hitler sowie ein Manager des Giftgas-Zulieferers für die Konzentrationslager.
Der junge Schnitzler wendete sich den Kommunisten zu, nahm als Soldat im Krieg Kontakte zur französischen Résistance auf und arbeitete in der britischen Gefangenschaft als Antinazipropagandist bei der BBC. Nach Kriegsende wurde er Kommentator und stellvertretender Intendant des NWDR in Köln, bis er nach seiner Entlassung nach Ostberlin ging, wo er rasch Chefkommentator des DDR-Fernsehens wurde und im März 1961 erstmals „Der schwarze Kanal“ moderierte.
Mit dem gedachte er die von den Westmedien auf den Kopf gestellte Wahrheit wieder auf die Füße zu stellen, wie er seinen persönlichen Programmauftrag beschrieb.
„Schnitz“ auf DVD
Mit unerschütterlichem „Klassenstandpunkt“ kommentierte Schnitzler O-Töne von Adenauer und Strauß, Westkritik am Mauerbau, das Dutschke-Attentat, Berichte von DDR-Korrespondenten und Sozialreportagen. Als Scharfmacher machte er seine zwanzigminütige One-Man-Show zur legendärsten Sendung des DDR-Fernsehens neben dem Sandmännchen – und zu dessen Gegenstück in der Beliebtheit. Der Montagabendgruß des monologisierenden Echtbartträgers bekam sogar seinen eigenen Witz: Ein „Schnitz“ war der Teil einer Sekunde, den man nach Schnitzlers Anblick auf dem Bildschirm zum Umschalten brauchte. Auch wohlmeinende DDR-Bürger taten sich „Sudel-Edes“ Agitprop nicht an.
Insofern stellt sich die Frage, warum der nun auf sechs DVDs erscheint. Um den Freunden schrägen Humors oder gar den alten und neuen Gegnern des BRD-Systems ein Weihnachtspräsent zu bieten und damit Kasse zu machen? (Wenn’s klappt, könnte das ZDF 2017 eine Box mit dem „ZDF-Magazin“ des Schnitzler-Gegenspielers Gerhard Löwenthal veröffentlichen.)
Offiziell wird das Material als Lehrstück verkauft: So funktionierte die DDR-Politpropaganda zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Rückschau ist durchaus interessant. Weniger wegen der selbstherrlichen Politschulungsrethorik, sondern wegen der Parallelen, die man unwillkürlich zum Heute zieht, wo Stimmungsmache Hochkonjunktur hat und zunehmend nur jene Fakten zählen, die dem eigenen Weltbild entsprechen. Auch Schnitzler hatte nur das aus dem Westfernsehen gekramt, was als Beleg für die „Menschenmarktwirtschaft“ taugte: Drogentote, Arbeitsplatzunsicherheit, Wohnungsnot – wobei Letztere übrigens 1989 zu fast gleichlautenden Unmutsäußerungen von Bundesbürgern gegen die DDR-Flüchtlinge führte wie heute gegen die Kriegsflüchtlinge.
Wahrscheinlich stimmt Schnitzlers Behauptung sogar, dass ihm „keine Fälschung“ nachzuweisen gewesen sei. Warum seine „wahrheitsgemäße Polemik“ trotzdem nicht verfing, hatte einfache Gründe, die – im typischen Schnitzler-Stil aufgeführt – wären: Erstens, kein Fernsehpublikum der Welt mag Politschulung im Abendprogramm. Zweitens, Schnitzler war ein Hundertfünfzigprozentiger ohne Hang zur Kritik an der DDR und mit wenig Bereitschaft, auch die gesellschaftlichen Umschwünge in der Aufarbeitung der Nazivergangenheit oder den Ausbau des Sozialsystems „drüben“ zur Kenntnis zu nehmen. Drittens, seine BRD-Kritik perlte schon deshalb an vielen DDR-Bürgern ab, weil die immer den Vergleich zur eigenen Lage suchten – und da schnitt die DDR beim Lebensstandard schlecht ab. So erschien Schnitzlers Lobhudelei der DDR als Menschenparadies („dynamisch, stabil und unumkehrbar sozialistisch“) wie ein Hohn. Viertens, aber nicht zuletzt: Der Mann war ein klassischer Bonze, dessen Frau in Westberlin einkaufen durfte und dort auch noch beim Klauen erwischt wurde – was sich auch in der DDR herumsprach.
Nachdem Schnitzler bis ins Wendejahr 1989 Standhaftigkeit bewies, schlug sein letztes Vierminütlein im DDR-Fernsehen kurz vorm Mauerfall. „Nicht dass ich etwas zu bereuen hätte“, verkündete er im Glauben, alles richtig gemacht zu haben. Stur verkennend, dass er der „guten Sache“ DDR bei seinen eigenen Bürgern mehr Schaden zugefügt hatte, als es jeder „ideologisch-subversive Angriff“ des Klassenfeindes gekonnt hätte. In der erweiterten Bundesrepublik schrieb er dann noch die Kolumne „Der rote Kanal“ für die Titanic. Sich als Witzfigur an ein Satireblatt verkauft zu haben ist eine schöne Pointe seines Lebens, das 2001 friedlich endete.
„Der schwarze Kanal – DDR-Politpropaganda zu Zeiten des Kalten Krieges“ – DDR-TV-Archiv (6er-DVD-Box)
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