Regie-Newcomer Ersan Mondtag: „Theater ist ein Zaubervorgang“

Ersan Mondtag inszeniert Michel Decars neues Stück „Schere Faust Papier“ im Hamburger Thalia Theater

Unscharf bleibt, worum es geht: Vorankündigungsfoto zu „Schere, Faust, Papier“ Foto: Armin Smailovic

taz: Ersan Mondtag, Sie wurden für ihre wortlose Kasseler Produktion „Tyrannis“ von den Kritikern der Zeitschrift Theater heute zum Nachwuchsregisseur, Nachwuchsbühnenbilder und -kostümbilder des Jahres gewählt. Zugleich gab es zwischen dem Staatstheater Kassel und Ihnen Zoff. Sind Sie ein Theater-Rebell?

Ersan Mondtag: Wenn man in diesem Theaterbetrieb überleben will, muss man Forderungen stellen. Die Betriebe sind so festgefahren und haben bestimmte Vorstellungen, dass man Forderungen stellen muss, wenn man, vor allem als junger Mann, ästhetisch etwas durchsetzen will. Das führt immer zu Konflikten. Ich habe auch Spaß daran, mich zu streiten. Ich freue mich, wenn ich mich aufregen, ein bisschen entäußern kann. Das können sonst nur die Schauspieler tun.

Ihre Inszenierungen gelten als unkonventionell, aber auch als vage. Manche bezeichnen sie als „enigmatisch“.

Mondtag: Für uns ist das, was auf der Bühne passiert, gar nicht vage. Ich könnte jeden Blick, jede Richtung erklären.

29, arbeitet als Regisseur viel mit Musik, Performance und Installation. Die Zeitschrift Theater heute wählte ihn dieses Jahr zum Nachwuchsregisseur, Nachwuchsbühnenbildner und Kostümbildner des Jahres.

30, ist Schlagzeuger und Komponist und spielt unter anderem in der Jazzband Hütte, der Math-Pop-Band Pranke und der Surf-Band Expressway Sketches.

Die Stückbeschreibung zu Michel Decars „Schere Faust Papier“, das Sie nun uraufführen, ist aber auch rätselhaft: „Umgeben von einer Vielzahl von Wörtern und Sätzen, Überschriften und Namen, Reihen und Listen gilt es, aus der Fülle der Welt zu tieferer Einsicht und brauchbaren Ergebnissen zu kommen.“ Worum geht es?

Ersan Mondtag: Der Abend zeigt Muster in der Menschheitsgeschichte. Bestimmte Motive tauchen immer wieder auf, werden von den Figuren immer wieder durchlebt. Und wenn man sich fragt, wo wir innerhalb dieses Zyklus stehen, dann bekommt man plötzlich Angst, weil man erkennt, dass jetzt eigentlich der Vernichtungsmoment kommen muss. Und man stellt sich die Frage, ob man diesem Muster nicht entkommen kann.

Decars Welt ist eine der Wörter und Sätze. Sie sind aber eher dafür bekannt, den Text eines Stückes nicht so ernst zu nehmen.

„Ich will dem Zuschauer Raum geben. Ich selbst will als Zuschauer vor allem denken.“

Mondtag: Das ist stückabhängig. Ich nehme den Text schon ernst. Ich beschäftige mich immer mit Sprache, natürlich ist Sprache auch mal abwesend. Oder ich versuche, eine Form für Sprache zu finden.

Max Andrzejewski: Aber es wird bei dir nie etwas 1:1 nacherzählt. Dein Umgang mit dem Theatertext ist meist fragmentarischer und freier.

Ihre Erklärweise ist jedenfalls eher abstrakt.

Mondtag: Ich vergleiche mein Theater immer mit einem Museumsbesuch: Wenn ich eine Ausstellung besuche, dann trete ich immer in Korrespondenz mit einem Werk. Ich kann mir die Kunstwerke natürlich auch mit einem Audioguide erklären lassen, aber erst mal hat das Wahrnehmen und Verstehen ganz viel damit zu tun, was ich als Rezipient mitbringe – an Vorwissen, aber auch an Geschmack.

Und das erwarten Sie auch vom Theaterbesucher.

Mondtag: Ich erwarte, dass er in Dialog tritt mit seinem Wissen und dem, was er auf der Bühne erlebt. Mich interessiert jeweils die subjektive Erfahrung jedes einzelnen Zuschauers und der Dialog, der daraufhin stattfindet, weil die Inszenierung unterschiedlich wahrgenommen wird. Ich will dem Zuschauer Raum geben. Ich selbst will als Zuschauer vor allem denken.

Dabei erwarten Sie von Ihren Zuschauern viel Vorwissen.

Mondtag: Ich erwarte eine gewisse Bildung, ein gewisses Kunstverständnis. Es ist wichtig, dass wir das Theater haben. Da gehen Menschen hin, die in Entscheiderpositionen sitzen, die einen relevanten Bestandteil unserer Gesellschaft ausmachen und sie gestalten. Für diese Leute muss das Theater ein Denk-Raum sein, wo sie atmen können, wo sie Gedankenanstöße bekommen, die sie dann in die Gesellschaft tragen. Es muss sich nicht konkret zu einem bestimmten politischen Umstand äußern. In meinen Arbeiten möchte ich den Leuten Raum geben, damit sie ein paar der Baustellen, die sie vielleicht haben, nach dem Theaterbesuch wieder zumachen können.

Kann Theater denn heute etwas zur gesellschaftspolitischen Debatte beitragen?

Mondtag: Ich glaube schon, dass Theater das kann – aber ich weiß auch, dass es das nicht tut. Theater hat innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses keine Stimme. Den bestimmt vielleicht das Feuilleton, bestimmte Autoren, Politiker, Wissenschaftler. Aber wenn ein Theaterstück sich zu einem aktuellen Thema äußert, wird das nicht Teil des Diskurses. Bei Anne Will sitzen keine Theatervertreter.

Warum haben Sie sich dann für das Theater entschieden?

Mondtag: Theater ist ein realer Raum, ein lebender Organismus. Wenn ich im Theater eine Welt entwerfe, dann könnte ich als Zuschauer theoretisch auch dort hineingehen. Im Unterschied zum Film ist man für einen Moment Teil dieser Welt. Das ist wie ein Zaubervorgang, man erschafft etwas, das lebt und nach der Premiere weiterlebt. Man kann es riechen, hören, man ist mittendrin.

Sie arbeiten beide als Regisseur und Komponist oft zusammen. Welche Rolle spielen Musik und Rhythmik für Ihre Form von Theater?

Mondtag: Bei meinen Inszenierungen geht es immer um Weltentwürfe. Diese brauchen ganz oft eine sehr präzise, bestimmte Umrahmung – und das funktioniert mit Musik sehr gut. Ich glaube, kein Regisseur setzt so viel Musik ein wie ich. Und die Musik, die Max Andrzejewski macht, ist natürlich besonders. Bei „Schere, Faust, Papier“ sind es ganz viele Schlaginstrumente, Marimbaphone, die er für seine Kompositionen verwendet hat, dazu mehrstimmige Chöre. Das zusammen ergibt eine sphärische Welt, die sehr eng mit der Ästhetik der Inszenierung verknüpft ist.

Absolute Ruhe gibt es bei Ihnen auf der Bühne nie.

Mondtag: Es gibt ja die absolute Stille gar nicht. Auf der Bühne hört man bei mir immer etwas und wenn es nur ein Naturgeräusch ist. Wenn ich unterwegs bin, höre ich ja auch permanent etwas: Wind, Autos und zu Hause summt der Kühlschrank. Und selbst wenn es im Theaterraum still ist, gibt es etwas zu hören: die Zuschauer, die Technik, die Scheinwerfer.

Premiere: So, 18.12., 19 Uhr, Thalia Theater (ausverkauft). Weitere Aufführungen: Mi, 21.12., Do, 5.1., Sa, 21.1., je 20 Uhr + So, 22.1., 19 Uhr

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