: Spirale der Gewalt dreht sich weiter
TÜRKEI Eine kurdische Splittergruppe bekennt sich zum Doppelanschlag in Istanbul am Wochenende. Begründung: Repression gegen Kurden. Ziel sind Polizeikräfte, die bei einem Fußballspiel eingesetzt waren
von Jürgen Gottschlich
Ziel des Doppelanschlags sind Einheiten der „(Çevik Kuvvet“, der Sondereinsatzkräfte der türkischen Polizei. Die Explosion geschieht unmittelbar am Stadion des amtierenden türkischen Fußballmeisters Beşiktaş Istanbul statt, wo eineinhalb Stunden zuvor das Spitzenspiel gegen Bursaspor zur Ende gegangen ist und die Fans sich langsam in der lauen Istanbuler Nacht zerstreuen.
Die Sondereinsatzkräfte der Polizei sollten dafür sorgen, dass es nicht zu Krawallen zwischen den verfeindeten Fangruppen kommt. Weil das gerade zwischen Beşiktaş und Bursaspor schon häufig der Fall war, ist an diesem Tag besonders viel Polizei im Einsatz.
Wie die Ermittler bekannt geben, ist bei der ersten Detonation eine Autobombe ferngezündet worden, als gerade ein voll besetzter Polizeibus vorbeifuhr. Insgesamt sterben 30 Polizisten und 8 weitere Zivilisten, darunter zwei junge Studenten, die ebenfalls gerade in einem Taxi und in einem Minibus die große Kreuzung oberhalb des Stadions passierten.
Die zweite Bombe zündet ein Selbstmordattentäter am Körper, als er auf einen Parkplatz am Stadion zugeht, auf dem eine ganze Anzahl Polizeibusse abgestellt sind. Polizeikräfte versuchen den Mann aufzuhalten, umringen ihn, und als sie ihn festnehmen wollten, zündete er die Bombe.
Am Sonntagnachmittag bekennt sich dann die kurdische Terrorgruppe TAK („Freiheitsfalken“) zu dem Doppelanschlag. Sie begründet ihre Aktion mit der Repression in den kurdischen Gebieten: Solange diese andauere, werde auch in der Westtürkei niemand mehr ruhig schlafen können, droht die Gruppe, die eine Unterorganisation der PKK.
Bereits Samstagnacht hatten Mitglieder der Regierung, darunter Ministerpräsident Binali Yıldırım, die kurdische PKK für den Terroranschlag verantwortlich gemacht. Die Ausführung des Attentats und das Anschlagsziel – die Polizei – sprächen dafür.
Präsident Erdoğan droht bereits mit massiver Vergeltung. „Die Verantwortlichen werden einen hohen Preis dafür zahlen“, kündigt er an. Obwohl die legale kurdisch-linke HDP bereits wenige Stunden nach dem Anschlag den Terror verurteilte, dürfte sie wohl zu denjenigen gehören, die den von Erdogan geforderten Preis zahlen müssen.
Nicht nur die PKK kommt für Terroranschläge infrage: Wenige Stunden vor dem Attentat war der türkischen Armee nach eigenen Angaben ein großer Erfolg in Syrien gelungen. Die seit Wochen belagerte IS-Hochburg al-Bab, eine Stadt 30 Kilometer nördlich von Aleppo, soll am Samstagnachmittag mindestens teilweise von türkischen Einheiten erobert worden sein. Schon Tage vorher hatte der IS in einem Video der Türkei mit neuen Anschlägen gedroht.
Der Zeitpunkt des Doppelanschlags kann aber auch mit Erdoğans Ambitionen, sich durch eine Verfassungsänderung zum Alleinherrscher küren zu lassen, zusammenhängen. Just am Samstagnachmittag hatte seine AK-Partei eine entsprechende Verfassungsreform ins Parlament eingebracht.
Gemeinsam mit der rechtsradikalen MHP wollen sie das Verfassungspaket jetzt möglichst schnell durchs Parlament bringen, damit noch im März, wie ein Regierungssprecher ankündigte, eine Volksabstimmung über die neue Verfassung durchgeführt werden kann.
Sowohl der Krieg gegen die PKK als auch gegen den IS und die Allmachtsansprüche Erdoğans haben das Land tief gespalten und eine Spannung erzeugt, die von Putschversuchen bis zu Terroranschlägen immer neue Gewalt nach sich zieht.
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