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„Nicht mehr das wehrlose Aschenputtel sein“

Heilsam Als Schreibtherapeutin nutzt Janett Menzel ein unkonventionelles Mittel, um ihren Klienten zu helfen. Sie sollen selbst Märchen verfassen

Foto: privat
Janett Menzel

34 Jahre, lebt in Berlin und ist Literaturwissenschaftlerin. Sie arbeitet als Schreibtherapeutin, Autorin und Life-Coach.

Interview Ben Kendal und Max Nahrhaft

taz: Frau Menzel, Sie sind Schreibtherapeutin und nutzen häufig Märchen, um Menschen mit Problemen zu helfen. Wann sind Märchen besonders wirksam?

Janett Menzel: Bei Ängsten. Vor allem bei Versagens- und Prüfungsängsten sowie sozialen Phobien und Depressionen. Märchen lassen sich aber nicht nur bei erkrankenten Menschen anwenden, sondern auch bei denen, die alte Wunden aufarbeiten wollen.

Angenommen ein Klient will traumatische Erlebnisse verarbeiten. Was soll er denn bei Ihnen tun?

Er soll ein Märchen verfassen, um seine persönlichen Umstände aufzuarbeiten. Dabei kann er sich auch auf ein bereits bekanntes Märchen beziehen. Wie die Geschichte aussehen soll, lasse ich manchmal offen. Oder ich gebe konkret vor, dass sich die betroffene Person mit ihrer Situation befasst und passende Märchenfiguren erfindet. Der Betroffene muss also ein Märchen konstruieren, das auf einer vergangenen Problemsituation basiert. Schon diese Auswahl sagt mir viel über den Klienten. Wenn eine Frau versucht, das Märchen vom Aschenputtel nachzuzeichnen, in dem die Protagonistin von der Unterdrückung zur Prinzessin aufsteigt, lässt es darauf schließen, dass sich die Person für sich einen ähnlichen Weg erwünscht. Das selbst geschriebene Märchen soll immer einen positiven Ausgang haben.

Das Märchen zielt also auf ein Happy End ab. Sicherlich löst das starke Gefühle aus.

Das lässt sich häufig beobachten: Meine Klienten können unterdrückte Wut und Angst in der Geschichte herauslassen, weil Schreiben ein sehr sicherer Rahmen ist – da kann nichts passieren. Jetzt können die Betroffenen mit ihren Gefühlen und den Figuren in der Situation ohne Konsequenzen spielen. Die Klienten werden sich dabei über die Gefühle des Konfliktpartners bewusst. Mir ist es auch wichtig, die Gegenseite zu betrachten und dabei lernen zu verzeihen. Denn selbst die Stiefmutter ist ein Mensch.

Welche Ziele hat Ihre Behandlung? Symptome lindern oder bei den Ursachen ansetzen?

Ich versuche auf die Ursachen einzugehen – natürlich nur mit dem Einverständnis des Klienten. Was als innere Barriere oder Blockade empfunden wurde, soll gelöst werden. Ich will den Betroffenen außerdem Wege aus der „Opferrolle“, so wie wir sie aus den Grimm’schen Märchen kennen, aufzeigen.

Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

Die Schreibtherapie hat auch mir geholfen. Ich litt selbst an Panik und Platzangst. Ich tendiere dazu, meine Probleme schreibend zu lösen, da lag es nahe, mich nach der Heilung zur Schreibtherapeutin ausbilden zu lassen. Das ist mein Weg.

Wie ist die Reaktion der Klienten auf Ihre Therapie?

In den meisten Fällen tut das anfangs sehr weh, weil man sich durch die gewählte Figur – Held oder Anti-Held – nochmals in die Lage hineinversetzt. Sobald dieser Schritt durchlaufen ist, kann man seinen Gefühlen freien Lauf lassen – da wird viel geweint. Denn die Märchen der Kindheit hinterlassen noch im Erwachsenenalter Spuren.

Welche Erfolge konnten in der Praxis erzielt werden?

Durch das Schreiben ist man nicht mehr das wehrlose, machtlose und unterdrückte Aschenputtel. Beim Schreiben wird man gezwungen, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Dann ist alles raus – im wahrsten Sinne des Wortes. Märchen schreiben ist eines der effektivsten Mittel gegen psychische Leiden.

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