Kommentar von Bernd Pickert: Castro als System
Noch vor ein paar Jahren wäre die Nachricht vom Tod Fidel Castros mehr gewesen als ein Ansporn zu Nachrufen und geschichtlichen Betrachtungen. Das war, als Fidel noch nicht Mythos und verklärter Patriarch der Kubanischen Revolution war. Das war, als er nicht historische, sondern zentrale Figur Kubas war, ohne deren Zustimmung nichts Wichtiges entschieden wurde.
Sowohl die Freudenfeiern in Miami als auch die bange Frage „Und was wird jetzt?“, die viele Kubaner*innen von der Insel auf ihre Facebook-Profile posteten, beziehen sich auf das alte Bild. Sie sind genauso aus der Zeit gefallen, wie es Castro selbst schon war. Trotzdem bewegt die Nachricht. Denn Castro hat auf eine Art Geschichte geschrieben, die nicht kaltlässt.
„Fidel ist Kuba“, propagiert Kubas Regierung auch nach seinem Ableben – und an dem Spruch ist etwas dran, in seiner ganzen Schrecklichkeit. Heute ändert sein Tod in Kuba und weltweit nichts mehr. Die Entkoppelung der Machtstrukturen von seiner Präsenz vor zehn Jahren hat funktioniert. Generationen von US-Strategien, die sich an diesen Moment anknüpften, sind ins Leere gelaufen. Fidel Castro hat es geschafft, einen Machtapparat aufzubauen, der sich auch ohne ihn selbst zu erhalten weiß.
Das ist das Erbe, das auf Kuba jetzt lastet. Eine Bürokratie, in der sich niemand traut, Entscheidungen zu treffen. Ein Land, dem seine bestausgebildeten jungen Leute den Rücken kehren. Eine autoritäre Regierung, die keinen Widerspruch duldet. Ein Führungsmodell, das öffentliche und offene Debatten unmöglich macht.
Unter Linken in aller Welt bleibt von Fidel jener David, der elf Goliaths überstand, elf US-Präsidenten und ein paar Hundert CIA-Mordversuche. Jener David, der bei seinen Reden in der UN-Generalversammlung und als Führungspersönlichkeit der Blockfreien-Bewegung kompromisslos die Interessen des Globalen Südens gegen den Imperialismus vertrat. Der als Freund Nelson Mandelas die Apartheid in Südafrika bekämpfte, in ganz Lateinamerika Befreiungsbewegungen unterstützte.
„Viva Fidel!“ Es ist ein schönes Bild, aber es ist ein Zerrbild. Eine kubanische Freundin sagte vor Kurzem: „Ich verstehe die Idee, sie ist gut. Aber ich rate euch: Kommt nicht nach Kuba, um sie euch anzusehen. Es wäre zu enttäuschend.“
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