Erinnerungskultur in Russland: Wladimir hat nicht den Größten

In dieser Woche wurde nach langem Streit in Moskau ein Denkmal für den Fürsten Wladimir eingeweiht. Es fällt kleiner aus als geplant.

Das Denkmal für Großfürst Wladimir in der Nähe des Kreml. Ein erhobenes Kreuz. Und wenig Leute

Das Denkmal für Großfürst Wladimir in der Nähe des Kreml Foto: dpa

MOSKAU taz | Er sollte 25 Meter hoch werden, am Ende waren es nur 17. Dafür fand die Statue des Großfürsten Wladimir I aber ihren endgültigen Standort. Fast zwei Jahre dauerte der Streit, wo das Monument des Staatsgründers aufgestellt werden sollte.

Am Tag der Volkseinheit wird das Monument endgültig der Öffentlichkeit übergeben. Wladimir Putin und Patriarch Kyrill sollen an der Einweihung teilnehmen. Der Tag der Volkseinheit ist ein Ersatz für das frühere Fest der Oktoberrevolution. Offiziell wird des Jahres 1612 gedacht, als beherzte Moskowiter polnische Invasoren aus Moskau verjagten.

Im vergangenen Jahr zwang der Protest von mehr als 60000 Bürgern im Internet den Kreml den vorgesehenen Platz für das Monument in den Sperlingsbergen hoch über der Moskwa aufzugeben. Experten hatten gewarnt: das Gewicht des Kolosses würde eine Versiegelung der Grünflächen in den Sperlingsbergen unumgänglich machen.

Zähneknirschend wurde weiter gesucht. Schließlich entschieden sich die Verantwortlichen für den Borowizkij Platz in unmittelbarer Nähe des Kreml. Doch auch hier lief die Sache nicht glatt.

Die Unesco droht

Denkmalschützer der Unesco traten auf den Plan und drohten, dem Kreml den Status des Weltkulturerbes zu entziehen, sollte Wladimir wie geplant vor der Kremlmauer in die Höhe schießen. Die Dimensionen stimmten nicht. Widerwillig lenkte Moskau ein.

Eigentlich wollte der Kreml mit seinem Wladimir den Kiews ausstechen. Die Statue geriet am Ende jedoch sieben Meter kürzer als die in Kiew, wo der Fürst bereits seit 1853 am Ufer über dem Dnjepr wacht. Die Strahlkraft beider Orte ist nicht zu vergleichen. Was Russland bleibt, ist jedoch die Genugtuung, Wladimir zumindest symbolisch nach Moskau entführt zu haben.

Seit der Einverleibung der Krim und Russlands Krieg in der Ostukraine ist die Bedeutung des Staatgründers noch einmal gestiegen. Auch Russland verehrt ihn als Heiligen. Wladimir Putin erklärte ihn unterdessen zum „geistigen Vater der russischen Welt“, zu der für den Kremlchef auch die Ukraine zählt. Als Gründer der Kiewer Rus, aus der sich später auch Russland entwickeln sollte, gehörte der heilige Wladimir jedoch schon immer zu Kiew.

Der Streit um Wladimir ist ein Stellvertreterkrieg um historische Deutungshoheiten. Denkmäler schießen in Russland seit kurzem wie Pilze aus dem Boden. Jedes Monument steht für eine in Erz gegossene ideologische Waffe.

Taufe auf der Krim

Als Heiliger wird der Fürst verehrt, weil er sich taufen ließ und seinem Volk das Christentum brachte. Um das Jahr 988 soll das gewesen sein. Diese Taufe fand angeblich in Chersones auf der Krim statt, behauptet der andere Wladimir – Kremlchef Putin.

Historiker zweifeln daran. Der Kreml konstruiert historische Kontinuität, die den imperialen Ausgriff im russischen Verständnis rechtfertigt. In der Nähe von Chersones übersäen Wladimir-Denkmäler inzwischen das Land wie anderswo Gartenzwerge Vordergärten.

Großfürst Wladimir muss ein kräftiger und wilder Gesell gewesen sein, der sich mit Vorliebe an Jungfrauen delektierte. Bemerkenswert an der Christianisierung der Rus ist indes, dass ein regierender Fürst die Staatsreligion aus dem fremden Kulturraum Byzanz übernimmt und sich ihr unterwirft. Laut Legende sollen es ästhetische, keine politischen Gründe gewesen sein, die ihn dazu bewogen.

Die freiwillige Religionsübernahme und der tolerante Umgang der Kiewer Orthodoxie mit den heidnischen Bevölkerungsteilen sucht seinesgleichen. Die Übernahme der Staatsreligion war friedfertig und folgte einem rationalen Muster. Dennoch entsprang die Übernahme des fremden Glaubens einem politischen Kalkül und war Zeichen weitsichtiger Diplomatie.

Machtpolitische Interessen

Die Eheschließung mit der byzantinischen Prinzessin Anna sei durchaus mit machtpolitischen Interessen verbunden gewesen, schreibt Historiker Felix Philipp Ingold. Wesentlich sei aber, „dass nicht wie ansonsten üblich, der eigene Glaube mit Gewalt exportiert und anderswo oktroyiert wurde, dass man vielmehr einen fremden Glauben aus Eigeninteresse zur Staatsreligion gemacht hat“.

Vernunft und Friedfertigkeit sind in Moskau zurzeit Mangelware. Die Idee zu einem Wladimir-Denkmal soll von Wladimir Putins Beichtvater Tichon und dem Chef der Rockergruppe „Nachtwölfe“, Alexander Saldostanow stammen. Die Durchführung des Projektes obliegt der Russischen militärhistorischen Gesellschaft.

Auch Kulturminister Wladimir Medinskij gehört der halbstaatlichen Gesellschaft an, die sich anschickt, Russlands Geschichte umzuschreiben. Eine Kostprobe dazu gibt es in der Manege, hinter Wladimirs Denkmal. Dort ist die Ausstellung“ Orthodoxe Rus – zum Tag der Volkseinheit. 1945-2016. Mein Russland“ zu besichtigen. Sie schließt eine vierteilige Reihe zur Neuverortung der Geschichte ab, die Russlands Entwicklung als einen zivilisatorischen Sonderweg erscheinen lässt.

Bildhauer Salawat Schtscherbakow schuf die Plastik. Im Geist der Zeit vereinte er Religiosität und Kriegsmotive. Der 61jährige ist zurzeit sehr gefragt. Er schuf auch das umstrittene Denkmal Iwan des Schrecklichen in Orjol, jenes blutrünstigen Gewaltherrschers.

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