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Betretene Stimmung und Tänze aus Protest

SOLIDARITÄT In Deutschland protestieren am Wochenende mehrere Tausend Menschen gegen die Verhaftungswelle von oppositionellen HDP-Politikern in der Türkei. Linkspartei-Chef Riexinger verlangt die Aufkündigung der Flüchtlingsvereinbarung

Leute, die 2015die HDP feierten, demonstrierten mit ratlosen Gesichtern

BERLIN taz | Als Reaktion auf die Verhaftung der beiden HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaș sowie mehrerer HDP-Abgeordneter in der Türkei gab es auch in Deutschland Proteste am Wochenende, unter anderem in Hannover, Hamburg, Essen, Münster und Dortmund.

Die mit Abstand größte Demonstration fand am Samstagmittag in Köln statt. Rund 6.500 Demonstrant*innen trafen sich am Ebertplatz, wo zuerst die Demonstrationsregeln vorgelesen wurden.

Unter anderem wurde das Zeigen von PKK-Symbolen untersagt. Wegen Verstößen kam es zu zwei Strafanzeigen. Ansonsten blieben die Proteste friedlich. Der Marsch endete am Heumarkt, wo in kurdischer Protestmanier getanzt wurde. Organisiert wurde die Kölner Demo von der Föderation Demokratischer Arbeitervereine und dem größten kurdischen Dachverband Nav-Dem.

In Berlin versammelten sich am Freitagabend am Brandenburger Tor nach einem Aufruf der HDP Berlin rund 1.500 Demonstranten. Vereinzelte PKK-Symbole waren trotz Verbot auch hier zu sehen, dass es zu Strafanzeigen gekommen sei, ist aber nicht bekannt. Slogans wie „Seite an Seite gegen den Faschismus“ oder „Diktator Erdoğan“ ertönten auf Deutsch, Kurdisch und Türkisch.

Die Stimmung war eher betreten. Dieselben Leute, die im Juni vergangenen Jahres auf den Straßen Kreuzbergs und Neuköllns den Einzug der HDP ins türkische Parlament gefeiert hatten, demonstrierten nun mit ratlosen Gesichtern gegen die Inhaftierung der Parteiführung. Es sind aber auch neue Gesichter hinzugekommen, junge Akademiker*innen und Künstler*innen aus der Türkei, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland ausgewandert sind.

„Ich habe früher die CHP unterstützt“, sagt die Grafikdesignerin Ezgi A., gebürtige Istanbulerin, die seit August in Berlin lebt. Aber seit die linkskemalistische Partei, die die größte Opposition im türkischen Parlament bildet, für die Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten gestimmt habe, sei die für sie „endgültig gestorben“.

Bernd Riexinger von der Linken war sowohl auf der Berliner als auch auf der Kölner Demo. Er rief die Bundesregierung dazu auf, die Waffenexporte in die Türkei zu beenden sowie den Flüchtlingsdeal mit der AKP-Regierung aufzukündigen: „Das Geld darf nicht in die Taschen von Autokraten wandern, sondern in die Behebung von Flucht­ursachen!“

Der Berliner Protestmarsch, bei dem wie üblich die Frauen vorneweg liefen, endete am Auswärtigen Amt, wohin Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am selben Tag den Vertreter des türkischen Botschafters einbestellt hat. Ob und was daraus folgt, ist unklar. Fest steht, dass die uneindeutige Türkeipolitik der Bundesregierung nicht nur Oppositionelle verunsichert. Sie ist mitunter auch ein Grund für das Misstrauen der AKP-nahen deutschtürkischen Community.

Seit 2014 müssen türkische Staatsbürger bei Wahlen ihre Stimmen nicht mehr persönlich in der Türkei abgeben, sondern können dies im nächstgelegenen Konsulat tun. Da sich vor allem bei den türkischen Parlamentswahlen 2015 eine erhöhte Wahlbeteiligung im Ausland abzeichnete, kann auch in Zukunft mit größeren Protesten in Deutschland gerechnet werden, sollten die Abgeordneten nicht freigelassen werden. Die HDP erhielt aus Deutschland bei den Wahlen im November 2015 15,9, die AKP 59,7 Prozent.

Fatma Aydemir

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