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Verschluckbare Kleinteile

Globalisierung Im Übersee-Museum eröffnet heute die neue Amerika-Dauerstellung. Sie behandelt sehr kleinteilig Aspekte der Völker-, Handels- und Naturkunde des Kontinents

Die beiden Amerikas von heute sind nur vor dem Hintergrund der Einwanderung zu verstehen

Sechs Jahre war Bremens Übersee-Museum amerikafrei. Das hat jetzt ein Ende. Transatlantische Fragen sind dank des US-Wahlkampfs allgegenwärtig. Gerade rechtzeitig kommt da die neue Amerika-Dauerausstellung. Die auf 15 Jahre Laufzeit konzipierte Schau feiert heute Eröffnung.

2,5 Millionen Euro wurden investiert, um auf 1.200 Quadratmetern der 2. Museumsetage etwa 750 Exponate zu inszeniere. „Bis auf eines stammen alle aus unseren Depots“, sagt Museumchefin Wiebke Ahrndt stolz.

Die Leitthese der Kuratoren: Die beiden Amerikas von heute seien nur vor dem Hintergrund der Einwanderung zu verstehen. Sie habe den Kontinent komplett umgekrempelt – „wie ein Meteoriteneinschlag“, sagt Ahrndt. In den Süden kamen die Spanier, wollten reich werden, bauten Bodenschätze ab und ließen die indigene Bevölkerung für sich arbeiten. In den Norden kamen Wirtschaftsflüchtlinge und christliche Fanatiker – mit den gleichen Zielen. An den eingeschleppten Krankheiten seien 90 Prozent der indigenen Bevölkerung gestorben, berichtet Ahrndt. Die eingeschleppten Wirtschaftspraktiken und Religionen gaben den UreinwohnerInnen den Rest. Und machten den Weg frei für die Globalisierung.

Und so ist gleich hinter dem ausgestopften Bison, einem Relikt der alten Amerika-Ausstellung, ein Verweis auf den Welthandel zu sehen: ein mit chinesischen Seidenbändern und böhmischen Perlen verzierter Indianer-Federschmuck. Gegenüber lächeln katholische Heiligenbilder, die mit Accessoires des bunten Glaubensbilderreichtums Lateinamerikas verschmelzen.

Sehr hübsch ist der Verweis auf Bremen in Indiana, USA. Die 4.500 Bewohner scheinen brachial protestantisch zu sein, was die Fotos all der Kirchen vor Ort beweisen sollen. Noch skurriler sind die evangelikalen Fundstücke: Unter dem Foto einer 20.000 Gläubige fassenden Kirche kann man einem Gottesdienst lauschen: Es ist ein Popkonzert mit schmerzhaften Mitmachanimationen. Darunter hängt ein T-Shirt, auf dem ein Affe mit Darwin-Kopf prangt, ein Merchandise-Produkt der Schöpfungstheoretiker. Auf den Infoinseln, die eng an eng stehen, sind immer wieder solche Putzigkeiten zu entdecken. Allerdings ist diese Kleinteiligkeit auch ein ästhetischer Rückschritt im Vergleich zum großzügig und einladend gestalteten Bereich über Ozeanien. Durch die Geballtheit gerät die Ausgangsthese schnell aus dem Blick.

Für den Amerika-Bereich braucht der Besucher schon Audioguides, eine Führung oder ganz viel Vorwissen, um die Beziehung von Einwanderung und all den Ausstellungsobjekten und ihrer Geschichten zu erfassen. Die Schau wirkt überladen mit Themen – und unterversorgt mit deren Ausarbeitung. Da wird auch en passent noch auf Erdgasfracking, Ölsandabbau, Mais-, Kaffee-, Zuckeranbau, die Tierwelt des Amazonas, auf die Militärmacht USA mit echtem Army-Kostüm und vieles mehr hingewiesen. Spotlights über Spotlights, die eher blenden als erhellen. Da lohnt der Rückzug an die Videostationen: Dort laufen recht eindrückliche Filmporträts von Amerikanern. Jens Fischer

Am Sonntag, den 6. November, ab 12 Uhr, führt der Vietnam-Veteran, Sonnentänzer und Urenkel des Lakota-Häuptlings Sitting Bull, Ernie LaPoint, durch die Ausstellung.

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