Kommentar Flüchtlinge und Kinderehen: Im Einzelfall entscheiden

Kinder gehören in die Schule und nicht in die Ehe – das wird sicher niemand bestreiten. Trotzdem greift das Argument zu kurz.

Mit einer inszenierten Hochzeit protestiert Terre des Femmes gegen die Zwangsverheiratung von jungen Mädchen

Der genaue Blick hilft gegen Pauschalurteile: Er kann zwischen Früh- und Teenagerehen unterscheiden. Zwangsehen sind ohnehin verboten Foto: imago/Christian Ditsch

Sind sogenannte Kinderehen eine Form von Kindesmissbrauch? Ja. So sehen das jedenfalls viele Menschen. Und es stimmt ja auch: Bei Paaren, bei denen ein Partner – fast immer ist es die Frau – unter 16 Jahren und der Mann viel älter ist, kann man selten von einer gleichberechtigten Partnerschaft sprechen. Solche Ehen sind in Deutschland zu Recht verboten.

Aber was ist mit jenen Minderjährigen, die aus Syrien oder Afghanistan nach Deutschland kommen und bereits verheiratet sind? Sollte deren Ehe zum Schutz des Kindeswohls annuliert werden, so wie das Unions-Abgeordnete fordern? Kinder gehören in die Schule und nicht in die Ehe, begründen die PolitikerInnen. Das wird sicher niemand bestreiten. Trotzdem greift das Argument zu kurz.

Manche Mädchen bekommen das Recht zur Schule zu gehen erst nach einer Flucht aus einem Kriegsgebiet. Weil in ihrer Heimat Schulen zerstört sind oder religiös begründete Vorschriften den Zugang zu Bildung für Mädchen verhindern. Allein oder ohne männliche Begleitung können Mädchen und Frauen aus Krisenregionen aber kaum fliehen. Sei es, weil das ihrem Geschlechterbild widerspricht oder sie unterwegs Gefahren ausgesetzt sind: Vergewaltigung, Überfälle, Zwangsprostitution.

Ein Ehemann, der sie auf der Flucht begleitet, bietet Schutz. Minderjährige Schwangere und minderjährige Mütter haben auch nach der Flucht als Verheiratete einen sichereren Status als Unverheiratete.

Was spricht denn gegen eine Einzelfallprüfung in Deutschland? Sicher, das ist angesichts der rund 1.400 im Ausländerregister registrierten verheirateten Teenager kein geringer bürokratischer Aufwand. Aber der genaue Blick hilft gegen Pauschalurteile. Er kann zwischen Früh- und Teenagerehen unterscheiden, das Kindeswohl individuell beurteilen und filtert Zwangsehen heraus, die ohnehin verboten sind. Und er verhindert eine weitere Verschärfung der Lebensumstände mancher Minderjähriger.

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Ressortleiterin taz.de / Regie. Zuvor Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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