heute in Bremen: „Der Verdacht hat genügt“
NS-Zeit Hilde Schramm spricht beim „Arisierungs“-Symposium der taz zur Stiftung Zurückgeben
80, wird beim Symposion die 1994 gegründete Stiftung Zurückgeben vorstellen, die bereits über 100 Stipendien vergab.
taz: Frau Schramm, haben Sie selbst ein Erbstück aus den „Judenauktionen“ der Nazi-Zeit?
Hilde Schramm: Nicht direkt. Ich habe Bilder geerbt, die mein Vater während der NS-Zeit auf Kunstauktionen in Berlin erwarb. Und da man bei Gegenständen, die damals den Besitzer wechselten, nie ausschließen kann, dass sie aus jüdischem Besitz stammen, hatte ich diesen Verdacht. Er hat genügt, dass ich meine Anteile am Erlös dieser Bilder nicht behalten wollte.
Zumal Ihr Vater der Hitler-Architekt Albert Speer war.
Natürlich ist es exponierter, mit einem solchen Vater zu leben. Aber viele andere haben damals auch von der Beraubung verhafteter, deportierter, ermordeter Juden profitiert. Das unterscheidet mich nicht von ihnen.
Haben Sie versucht, die Erben der Bilder zu finden?
Ja, aber damals – Ende der 1980er-Jahre – war die Provenienzforschung nicht so weit wie heute. Heute würde ich das hartnäckiger betreiben, aber meine Versuche liefen ins Leere. Also habe ich von dem Geld, gemeinsam mit anderen, die Stiftung Zurückgeben gegründet.
Mit welchem Ziel?
Anfangs war das nicht klar. Ich wusste nur, dass ich das Geld weggeben wollte. Möglichst in einen Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit. Zusammen mit anderen nichtjüdischen und jüdischen Frauen haben wir dann die Stiftungsidee entwickelt und das Grundkapital gelegt.
Wie groß ist der Zuspruch in puncto Rückgabe?
Nicht besonders groß. Wir hatten erwartet, dass sich weit mehr Leute beteiligen würden. Denn schon damals war bekannt, dass viele vom Raub an den Juden profitiert hatten und dieses Erbe in den Familien weiterexistierte.
Heißt das, die Deutschen wollen es immer noch nicht wahrhaben?
Ja. Möglicherweise wollen viele nicht zu erkennen geben, dass ihre Familie profitiert hat. Und wenn sie für die Stiftung spenden, meinen sie, dieser öffentliche Akt gleiche einem Bekenntnis. Aber das ist zu eng gedacht. Man kann auch aus historischem Bewusstsein heraus spenden.
Zumal keine wirkliche Rückgabe stattfindet.
Eben. Wenn wir die Erben kennen würden, gäben wir ihnen ihren Besitz. Da das nicht der Fall ist, praktizieren wir ein Zurückgeben auf einer zweiten Ebene: der Förderung jüdischer Frauen in Deutschland, der zweiten Säule der Stiftung.
Wen genau fördern Sie?
In Deutschland lebende jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die sich mit weiblicher jüdischer Identität befassen. Oft sind es Familiengeschichten oder Werke von KünstlerInnen, die sie dem Vergessen entreißen wollen.
Interview: PS
taz-Symposium „Arisierung – Über den Umgang mit dem Unrechts-Erbe“: 14–21.30 Uhr, Festsaal der Bürgerschaft. Anmeldung erbeten unter bleyl@taz.de
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