Verschollen auf dem Weg

Grenzregime In der Berliner Böll-Stiftung forderten Unterstützer „Das Recht auf legale Wege“ für Fliehende, die in die USA und nach Europa wollen“

Die einen kommen aus Syrien oder Äthiopien und wollen nach Europa, die anderen stammen aus Honduras, El Salvador oder Guatemala und sind auf dem Weg durch Mexiko in die USA. Obwohl sie Tausende von Kilometern trennen, sind Flüchtlinge und Migranten dies- und jenseits des Atlantiks häufig mit denselben Problem konfrontiert: mit geschlossenen Grenzen, gewalttätigen Migrationsbeamten und einer Gesellschaft, deren Mehrheit sie nicht mit offenen Armen empfängt. Dennoch gibt es in den EU-Staaten ebenso wie in Mexiko zahlreiche Gruppen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen oder illegalisierten Migrantinnen Unterschlupf gewähren.

Um die Zusammenarbeit zu intensivieren, organisierten die Heinrich-Böll-Stiftung, das Böll-Bildungswerk, Medico und borderline-europe in Berlin am Dienstag eine Tagung, deren Titel eine wichtige Forderung vorwegnahm: „Für das Recht auf legale Wege.“ Denn dieses Recht gibt es weder hier noch dort. „Was für uns Frontex ist, ist für die Mexikaner Frontera Sur“, sagte Gianfranco Crua, der in Italien eine Karawane zur Unterstützung von Flüchtlingen organisiert.

Drohen mit Kürzung von Entwicklungsgeldern

Tatsächlich ähneln sich die EU-Grenzschutzagentur und das US-Programm „Südgrenze“. Beide haben zum Ziel, Geflüchtete und Migranten immer weiter von der eigenen Grenze fernzuhalten und die Verantwortung auf andere Staaten zu verlagern. Im Rahmen von Frontera Sur liefert Washington der mexikanischen Regierung Geld und Ausrüstung, um die Grenze zwischen Mexiko und Guatemala für Arbeits- oder Schutzsuchende dicht zu machen. Die Reisenden sollen über 3.000 Kilometer von den USA entfernt aufgehalten werden. „Wer zahlt, regiert. Mexiko hat hier keine Autonomie“, ist der Franziskanermönch Fray Tomás González Castillo überzeugt. Genauso agiert die EU mit dem „Türkei-Deal“ und den Plänen, Staaten wie Libyen, Äthiopien oder den Sudan in die Abschottungspolitik einzubeziehen. Hier sorgt die Drohung mit wirtschaftlichen Restriktionen oder der Kürzung von Entwicklungsgeldern für den nötigen Druck.

Der Mexikaner Fray Tomás erlebt die Konsequenzen dieser Politik täglich. Nahe der guatemaltekischen Grenze betreibt er eine Herberge für Migranten. Hier finden sie Schutz vor Polizeigewalt, drohender Abschiebung und den Angriffen von Kriminellen. Für Kartelle wie die „Zetas“ ist die Abschottung zu einem florierenden Geschäft geworden. Sie entführen die Migranten und fordern Lösegeld, zwingen Frauen zur Prostitution oder nutzen sie als Drogenkuriere. Aktivist Crua sieht auch hier Parallelen: „Im Süden Ita­liens kontrolliert die Mafia große Gebiete und ist in das Drogengeschäft und den Menschenhandel involviert.“ Er verweist darauf, dass die ­„Zetas“ eng mit der italienischen’Ndrangheta kooperieren.

Auf die Idee mit der Karawane ist Crua über Marta Sánchez Soler gekommen. Die Mexikanerin organisiert seit 2006 einmal jährlich mit Angehörigen aus Zentralamerika einen solchen Zug, um nach deren auf der Reise verschwundenen Söhnen oder Töchtern zu suchen. Sie arbeitet nicht nur mit den Italienern, sondern auch mit Tune­sierinnen zusammen, deren Kinder auf dem Weg nach Europa verschollen sind.

Globale Lösungsansätze werden gebraucht

Am 15. November zieht ihre Karawane erneut los, und Sánchez schlägt vor, am selben Tag in Europa Aktionen durchzuführen. Zudem verweist sie darauf, dass infloge der Abschottung ­Europas mittlerweile auch Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Mexiko ankommen. „Das Problem ist global, und global müssen wir es lösen“, sagt die betagte Aktivistin.

Gemeinsame Aktionen? Harald Glöde von borderline-europe erinnert daran, dass auch in Deutschland eine Art Karawane eine wichtige Rolle spielte: der Marsch von Flüchtlingen aus Würzburg nach Berlin, wo sie sich auf dem Kreuzberger Oranienplatz niedergelassen hatten. Konkrete Aktivitäten wurden jedoch in der Böll-Stiftung nicht ins Auge gefasst. Aber weil die reichen Staaten überall gleich agierten, sei es besonders wichtig, voneinander zu lernen, betont Glöde. „Und es gibt ­Hoffnung, zu wissen, das wir nicht allein sind.“

Wolf-Dieter Vogel