Predigen wie in einem Rausch

Festival Das Monologfestival im Theaterdiscounter steht unter dem Motto „Aus Liebe zur Welt. Die Umordnung der Dinge“

„Situation mit ausgestrecktem Arm“ von Oliver Zahn Foto: Alex Brenner

von Verena Krippner

„Willkommen am krisenhaften Ende der großen Krise … Willkommen in der Buchstabensuppe, sie murmelt, und wir lauschen. Willkommen! Willkommen! Willkommen!“ Dass ein Monolog von seinem Interpreten lebt, beweist Peter Licht direkt am ersten Abend des Monologfestivals im Theaterdiscounter. Die bildhaft-melancholischen Texte aus seinem Buch „Lob der Realität“ lassen oftmals an ihrer Sinnhaftigkeit zweifeln. Er rattert sie rhythmisch herunter, ruft sie euphorisch oder setzt zwischendurch gekonnt Pausen ein. Und setzt so Pointen, die ein Leser allein vielleicht nicht begreifen kann.

Das vierte Monologfestival hat das Motto „Aus Liebe zur Welt. Die Umordnung der Dinge“. Die rasanten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre haben das Konzept des Festivals beeinflusst. Die insgesamt 16 Soloarbeiten greifen diese Veränderungen unterschiedlich auf. Von Krisen handelt darunter nicht nur die Lesung mit Peter Licht. Die serbische Performerin Dragana Bulut inszeniert sich als Lifecoach. Mit Tanzelementen, gemimter Verzweiflung und Sprechchören, die das Publikum übernehmen muss, treibt sie die Sitzung zur Farce. Die Selbstoptimierung unter dem Titel „The Art Of Happiness“ entstellt sich selbst.

Die Gruppe „internil“ um den Regisseur Arne Vogelsang thematisiert dagegen die Verschmelzung von Politik und Selbstdarstellung in ihrem Multimedia-Stück „Aggroprolypse“. Es ist eine der zehn Premieren auf dem diesjährigen Festival. Eine Projektion zeigt Menschen, die ihre Wut, private Verzweiflung oder wirren Ideologien in selbst gedrehten Videos öffentlich verbreiten. Marina Miller stellt die Monologe auf der Bühne nach. Mit der Webcam streamt sie ihre Performance live auf Facebook. Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken sind Teil des Stücks: eine Interaktion mit dem Internet. Auf der Wand hinter ihr sind immer wieder die eigentlichen ProtagonistenInnen auf Facebook oder YouTube zu sehen. Es sind Neonazis, EsoterikerInnen oder VerschwörungstheoretikerInnen, die ihre Ansichten wie im Rausch selbstbewusst predigen. „Diese EU-Clique, was für ein Abschaum“ – „Tut eure Frauen beschützen, wir brauchen euren Schutz“ – „Die Kirche ist Satan“: Ihre Selbstentblößung ist erschreckend, ihre Aussagen bedrücken. Die öffentlichen Videos und Postings sind so skurril, abwegig oder beschämend, dass „Aggroprolypse“ an einigen Stellen unfreiwillig komisch wirkt. Die Projektion zeigt auch den animierten Kopf der Performerin, der sich dreht und wendet, ihre Nase und Augen werden in einem Programm leicht verändert: Der Monolog hat viele Gesichter.

Die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Soloarbeiten sind offensichtlich. „Gebunden an ein Thema findet jede Arbeit ihre eigene Ästhetik“, sagt Michael Müller, der zusammen mit Jannette Mickan das Festival im Theaterdiscounter kuratiert. Dem Selbstgespräch ein zehntägiges Forum zu widmen ist mutig, gilt der Monolog doch allgemein als verstaubt und langweilig. Das bekam Müller oft zu hören, bevor das Festival 2007 seine Premiere feierte. „Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht“, sagt der Leiter des Theaterdiscounters. „Eine Menge Monologisten fragte uns an. Von Anfang an haben wir das Festival dialogisch gedacht. Es sind viele Einzelstimmen, die sich nicht abstimmen. Uns interessieren dabei nicht die Meinungen, sondern eher Haltungen. Positionen, mit denen man sich auseinandersetzen kann.“

Grenzen des Formats

Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken sind Teil des Stücks: eine Interaktion mit dem Internet

In den nächsten Festivaltagen werden noch mehr dieser Positionen zu sehen sein. Unter anderem mit Oliver Zahn. Er geht mit der Performance „Situation mit ausgestrecktem Arm“ auf die Stilisierung einer einfachen, aber belasteten Geste ein. Die Bedeutung des ausgestreckten Arms hat sich im Laufe der Geschichte bis hin zur Instrumentalisierung durch das NS-Regime mehrmals verändert.

Einen weiteren politischen Ansatz findet auch die Gruppe „MS Schrittmacher“ in der Solo­performance „UN Menschenrecht“ unter der Regie von Martin Stiefermann. Sie stellt den international fehlenden Schutz vor Folter und Gewalt an den Pranger. Die eingesprochenen Menschenrechtsartikel bilden mit Sound und den Bewegungen von Performer Jorge Morro eine weitere vielfältige Soloarbeit.

Die KünstlerInnen testen in ihren Aufführungen die Grenzen des Theaterformats aus. Die eingesetzten Elemente aus Tanz, Video, Lesung und Interaktion halten auf dem Monologfestival die Spannung aufrecht. Das Genre zeigt sich dabei alles andere als verstaubt.

Bis 30. Oktober, Programm unter theaterdiscounter.de