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Für immer geschlossen

Auf dem Trockenen Warum die Traditionsgasthöfe wie die „Traube“ in Tellingstedt schließen und wie die Lokalpolitik damit umgeht

Noch weht die Fahne am Mast vor der „Traube“, noch wirbt ein Schild: „Biker willkommen“. Aber die Tafel mit den Öffnungszeiten ist leer, und der Blick durch die Fenster zeigt nur Dunkelheit. Die Kohltage hat das Wirtsehepaar noch mitgenommen, dann war Schluss: „Der letzte Arbeitstag ist Sonntag, der 25. September“, steht auf einem Zettel, der im Fenster neben dem Eingang der „Traube“ hängt. Die Wirtsleute sind erst mal in Urlaub gefahren, wie jedes Jahr nach den anstrengenden Kohltagen. Doch diesmal bleibt die Gasthaustür auf Dauer geschlossen.

„Die Traube wird fehlen“, sagte Elke Jasper. Sie betreibt die Postfiliale, die gegenüber der alten Gaststätte liegt, an der Kreuzung im Zentrum von Telling­stedt in Dithmarschen. Rund 2.700 Menschen leben im Ort, für schleswig-holsteinische Verhältnisse ist das eine Menge: Da es nie eine durchgreifende Gemeindereform gegeben hat, haben viele der 1.100 eigenständigen Gemeinden nur einige Hundert BewohnerInnen.

Unter diesen Zwergen ist Tellingstedt fast ein Riese. Jasper, die für die CDU im Gemeinderat sitzt und stellvertretende Bürgermeisterin ist, schwärmt von den zahlreichen Handwerksbetrieben, den Läden in der Hauptstraße und der Gemeinschaftsschule, die Kinder sogar aus der Kreisstadt Heide anzieht. Alles bestens in Tellingstedt, und trotzdem macht die Traditionsgaststätte „Traube“ zu – warum nur?

Der erste und nahe liegende Grund: Die Wirtsleute, inzwischen Anfang 70, haben keine Nachfolger gefunden, die den Betrieb übernehmen wollten. Denn das langgestreckte Gebäude liegt zwar günstig im Ortszentrum, aber hinter der gelben Backsteinfassade versteckt sich einiger Sanierungsbedarf. Das Haus ist groß – allein der Saal fasst über hundert Personen. Das zweite Gasthaus im Ort, der „Dithmarscher Hof“, bietet weniger Platz für Gesellschaften, und die „Markthalle“, ein Gebäude der Gemeinde auf der grünen Wiese vor der Stadt, ist zwar ideal für das große Volksfest der Gemeinde, aber zu gewaltig für eine Familienfeier. Daher fanden viele Hochzeiten oder große Geburtstagsfeiern in der „Traube“ mit ihrem Tanzsaal statt, berichtet Elke Jasper. Einige Gruppen der Volkshochschule nutzten die Räume. Die Landfrauen feierten und tagten gern in der „Traube“. Auch der Plattdeutsch-Kreis traf sich bisher einmal im Moment dort – zurzeit weiß die Gruppe noch nicht, wo sie künftig zusammenkommen soll.

Aber, und das ist der zweite Grund, warum die Pächter nicht gerade Schlange stehen: Die Kneipenkultur hat sich geändert, es fehlt jenseits der Feiern und Gesellschaften an Laufkundschaft. Wer Essen gehen will, muss nicht im Dorf bleiben: Von Tellingstedt aus ist die Kreisstadt Heide nur eine Viertelstunde mit dem Auto entfernt. Spezialitätenrestaurants und fein gemachte Landgasthöfe liegen im ganzen Land verstreut. Und die schnellen Mahlzeiten zwischendurch gibt es auch in Tellingstedt an jeder Ecke: An der Hauptstraße liegt ein Dönerimbiss, am Bahnhof wirbt ein weiterer Imbiss mit Pommes und Hamburgern.

Den historischen Kern des Dorfes, das 1140 erstmals erwähnt wird, bildet die Kirche mit ihrem zierlichen Holzturm und dem massiven Felssteinsockel. Sie steht auf einem Hügelchen, genau wie die „Traube“. Ziemlich genau zwischen beiden liegt der Supermarkt. Auf beiden Mini-Gipfeln herrscht Ruh’ zu dieser Mittagszeit. Doch als hätten alle Autos von Tellingstedt ihre Bremsen gelöst und wären die Hügelchen heruntergerollt, ist der Parkplatz zwischen dem Supermarkt und dem benachbarten Discounter voll.

Der Supermarkt heißt heute „Sky“, früher war es Wandmarker – die Ladenkette wurde hier gegründet, der ehemalige Chef Helmut Wandmarker ist Tellingstedter. Bis heute ragt neben dem Laden das zentrale Verwaltungsgebäude der Märkte: Neben „Laue Festgarderobe“ und „Waffen Schrum“ einer der wichtigen Arbeitgeber im Ort.

Vor allem aber ist der Supermarkt der wichtigste Treffpunkt. Junge Paare schieben Kinderwagen, ältere Paare ihre Rollatoren. Und wer ein wenig Zeit übrig hat, bleibt am Bäckerstand stehen, wo das Brot „Heider Seele“ oder „Eider-Vollkorn“ heißt, trinkt einen Kaffee im Stehen und plaudert. Reicht das?

„Wir als Gemeindevertretung machen uns Gedanken um diese Fragen“, sagt Elke Japser. Es gehe darum, Treffpunkte, Orte für Begegnungen zu erhalten. „Allein für unsere ehrenamtliche Tätigkeit brauchen wir das“, sagt die CDU-Politikerin. Treffen des Gemeinderats finden im Dorf seit jeher in Gaststätten statt, und wenn es um Streitfragen wie den Bau neuer Windräder geht oder die Sanierung des Freibades, sitzt die Einwohnerschaft drum herum und hört zu.

Aber was, denn sich die Traditionslokale nicht mehr von allein tragen? Im Nachbardorf Hennstedt hat die Gemeinde aktiv eingegriffen, hat ein Gebäude gekauft, ein Lokal eingerichtet, einen Pächter gesucht. Heute gibt es dort ein Restaurant mit „griechisch-klassischen Spezialitäten“ und einen Saalbetrieb für Feiern bis zu 120 Personen, eine ähnliche Größe wie in der bisherigen „Traube“.

In Tellingstedt ruht jetzt einige Hoffnung auf der „Sportlergaststätte“, einem Gastraum an der Sporthalle neben der Gemeinschaftsschule. Der örtliche Sportverein hat Interesse, dass dort wieder Wurst gebrutzelt und Bier ausgeschenkt wird.

Die „Traube“ aber wird abgerissen. Auf dem Grundstück werden Seniorenwohnungen gebaut.Esther Geißlinger

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