Hart am Wind

Krimistoff Industriespionage und politische Kungelei: der sagenhafte Aufstiegdes Auricher Windanlagenbauers Aloys Wobben und seiner Firma Enercon

Durchsetzungsstark: Aloys Wobben mit dem damaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel 2002 Foto: Ingo Wagner/dpa

von Thomas Schumacher

Der hagere Mann mit dem weißen Haarwuschelkopf wirkt wie die Karikatur eines schrulligen Wissenschaftlers. Doch dieser Eindruck täuscht. Aloys Wobben, 64, hat innerhalb von knapp 30 Jahren sein Unternehmen Enercon, mit Stammsitz im ostfriesischen Aurich, zu einer Weltmacht in Sachen erneuerbare Energien aufgebaut (Jahresumsatz 2013: etwa fünf Milliarden Euro). Und das nicht mit Samthandschuhen. Diskretion, Verschwiegenheit und Härte gehören zum Wobben’schen Unternehmenskonzept. Interviews gibt der Mann so gut wie nicht. Anfragen der Presse werden regelmäßig abgelehnt. Der örtlichen Lokalzeitung wurde nicht einmal ein Besuch des Firmengeländes gewährt.

Eines aber ist todsicher: Wobben ist kein Ostfriese. Im Gegenteil: Er ist Emsländer. Die Gegnerschaft beider Regionen aus religiösen Gründen ist historisch bedingt (Emsland katholisch – Ostfriesland protestantisch). Trotzdem kam Aloys Wobben 1984 als studierter Elektroingenieur nach Aurich – im Schlepptau seiner Frau. Die hatte dort eine Lehrerinnenstelle angetreten. Wobben selbst begann in einer Garage mit zwei Kollegen an seiner ersten Windkraftanlage zu basteln und gründete Enercon.

Wie er auf Windkraft kam, liegt im Dunkeln. Es wird kolportiert, die Ölkrise Ende der 1970er, mit dem Fast-Stillstand der deutschen Wirtschaft, hätten ihn auf seine windige Idee gebracht. Ab 1984 jedenfalls verfolgt Wobben seine Idee, Strom aus Wind zu gewinnen, konsequent. Auf das Grundstück eines Freundes stellte er eine Versuchsanlage, knöpfte ihm 50.000 DM Arbeitszuschuss ab und ließ ihn unentschädigt auf der späteren Windradruine sitzen. So jedenfalls schilderte es der ehemalige Freund der Presse.

Wobbens Innovationen beim Bau von Windrädern und der gesellschaftliche Wunsch nach „natürlichem“ Strom waren die Gleitschienen des zarten wirtschaftlichen Erfolgs von Enercon. 1989 fasste der Auricher Stadtrat den Beschluss, in Wobben zu investieren. Die von Arbeitslosigkeit gebeutelte Stadt wollte mit Enercon gesunden. Mit Wobbens genialer Erfindung des getriebelosen Motors für die Rotoren von Windrädern gelang ihm 1993 der internationale Durchbruch. Das Windrad E-40 machte Windräder unabhängig von der Windstärke. Schalteten sich andere Räder bei zu schwachem oder zu starkem Wind ab, regelte die E-40 ihren Umschwung je nach Windstärke selbst. Die Windräder waren so leichter zu warten und erwirtschafteten mehr Ertrag.

Seine Erfindung machte Wobben zu einem Weltmarktführer im Windkraftanlagenbau. Als zudem 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet wurde, hatten Aurich und Wobben quasi eine Gelddruckmaschine geschenkt bekommen: Über erhöhte Strompreise zahlten die Verbraucher für den Ausbau der Windkraft. Der Privatmann Wobben zählt als mehrfacher Milliardär zu den reichsten Deutschen.

Heute ist Aurich Enercon. Vor her hatte die Stadt über 20 Prozent Arbeitslose. Heute sind es gerade mal acht Prozent. Vorher nahm die Stadt umgerechnet knapp fünf Millionen Euro an Gewerbesteuern ein. Mit Enercon sind es heute weit über hundert Millionen Euro. Allein in der Stadt (knapp 34.000 Einwohner) arbeiten etwa 4.000 MitarbeiterInnen. „Wir sind auf Enercon zugegangen und haben gefragt, was braucht ihr“, lässt sich Hardwig Kuiper, Erster Stadtrat von Aurich und zuständig für Wirtschaftsförderung, stolz in einem Wirtschaftsjournal zitieren. Unternehmerherz, was willst du mehr!

Andere meinen, die Stadt Aurich sei zum Handlanger von Enercon degradiert worden. So nörgeln Lokalpolitiker, Enercon würde gar nicht mehr mit ihnen reden, wenn es Entscheidungen durchsetzen will. „Wir müssen oft zähneknirschend den Vorlagen zustimmen, wenn Enercon Bauanträge stellt oder andere Wünsche hat“, murrt ein Auricher Oppositionspolitiker im Stadtrat.

Wie ein Rhizom sind Politik, Verwaltung und Enercon in Ostfriesland verflochten. In vielen Gemeinderäten stimmen Enercon-Profiteure gleich selbst über neue Windparks ab, ändern Bebauungspläne und vergeben neue Zulassungen für Windkraftanlagen. Ostfriesland hat laut dem niedersächsischen Entwicklungsplan für erneuerbare Energie sein Soll an Windpark schon überschritten. Trotzdem werden immer neue Anlagen aufgestellt.

Aurich selbst hat keine öffentliche Autobahn- und Zuganbindung – aber Enercon hat sie. Ein Güterzug bringt die Produktionsteile der Firma zum Emder Hafen. Mit Hilfe von über 8.000 Sondergenehmigungen im letzten Jahr gelangten übergroße Enercon-Transporte von Aurich über die Bundesstraße zur Autobahnauffahrt nach Leer. Ganze Straßenabschnitte werden einfach für den öffentlichen Verkehr gesperrt.

Wenig zart geht Wobben mit MitarbeiterInnen um. „Als Mensch ist er eher autoritärer Patriarch“, sagt eine Auricherin. Gewerkschafter schmeißt Wobben schon mal persönlich vom Firmengelände. So geschehen 1999, als MitarbeiterInnen wieder mal einen Betriebsrat gründen wollten. Die IG Metall kämpft seit Jahren dafür, Enercon zu Tariflöhnen zu verpflichten und weniger Leiharbeiter einzustellen. Bislang erfolglos. Auch in den Niederlassungen Enercons in Brasilien oder der Türkei hält Wobben die Firmentore für Gewerkschaften zu. „Mit denen kann man kein Unternehmen organisieren“, soll Wobben ihm freundlich gesinnten PolitikerInnen gegenüber geäußert haben.

„Bis heute hat Enercon keine flächendeckende Betriebsratskultur in seinen verschachtelten Unternehmen“, bestätigt eine Sprecherin der IG Metall Leer-Ostfriesland. Die vielen Firmenaufsplitterungen sind ihrer Meinung nach eine Strategie, die Organisation der ArbeitnehmerInnen zu verhindern.

Wie ein Rhizom sind Politik, Verwaltung und Enercon in Ostfriesland verflochten

Das einzige, was das Enercon-Imperium ins Schwanken bringen könnte, wäre der Verlust des technischen Fortschritts. Vielleicht ist das der Grund für Wobbens Diskretion. Mehrfach wurde sein Unternehmen schon von Industriespionage heimgesucht. Folgenreich war der Anschlag der US-amerikanischen Konkurrenzfirma Kenetec in den 1990er-Jahren. Mit Unterstützung des US-Geheimdienstes NSA wurden Patente ausspioniert, Anlagen nachgebaut und als eigene ausgegeben. Darauf verboten die US-amerikanischen Behörden die Einfuhr von deutschen Enercon-Anlagen.

Noch heute hält sich Enercon auf dem US-amerikanischen Markt sehr zurück. Aus Angst vor Raubkopien seiner Anlagen verzichtet Wobben auch auf das Geschäft mit China. Besonders hart traf das Unternehmen die Aktion des Chefs seiner indischen Tochterfirma, der sich die ganze indische Niederlassung aneignete und alle Patente für sich beanspruchte. Die indischen Behörden sollen den Mann geschützt haben, es war von Bestechung die Rede. Im Bundestag forderte der damalige ostfriesische SPD-Abgeordnete Garrelt Duin, heute Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, die Regierung auf, sich in Indien für Wobben und seine Enercon einzusetzen.

Aus Angst vor Spionage baute Wobben Aurich zur streng geschützten Hochburg für Forschung und Entwicklung aus. Er selbst, so kolportieren MitarbeiterInnen, schloss sich gerne mal nach Feierabend oder an Wochenenden in seinem Labor ein: „Der Alte bastelt wieder“, hieß es dann.

Heute ist Aloys Wobben aus der Öffentlichkeit verschwunden. Der Mann, dessen geniale technische Leistungen in 1824 weltweit auf ihn persönlich zugelassenen Patenten dokumentiert sind, hat sich von der Welt zurückgezogen. Seit 2012 ist seine Aloys-Wobben-Stiftung alleiniger Gesellschafter des verzweigten Imperiums. Er selbst gilt als schwer krank.

Vor seinem Rückzug aus dem Unternehmen landete er aber noch einen überraschenden Coup. Er verbat sich ein Engagement bei der Entwicklung der Offshore-Windgewinnung. Windräder im Meer seien zu teuer und zu unsicher, ließ er verlauten, und mit ihm nicht zu machen.