Portrait: Die Mittelalter-Schwärmerin
Dagmar Täube traut sich was. Sie schwärmt doch tatsächlich von der Aura des Originals, der echten Mittelalter-Madonna, dem authentischen Altar. Und das in dieser durchvirtualisierten Welt, in der auch Museumsleute ständig nach der Jugend schauen.
Aber Täube, seit dieser Woche Chefin des Lübecker St.-Annen-Museums mit hochkarätigen Mittelalter-Beständen, traut jungen Leute mehr zu als Internet-Chats und hat zudem Erfahrung.
Denn in Köln, wo die Kunsthistorikerin lange im gleichfalls mittelalterlich bestückten Schnütgen-Museum arbeitete, „da waren die Kinder begeistert, mal echtes Gold und Edelsteine zu sehen“, erzählt die 55-Jährige. „Das kann man alles vermitteln.“ Auch warum ein Altar aus dem 14. Jahrhundert für uns heute wichtig ist: „Weil das unsere Wurzeln sind.“
Damit meint sie keine rechtslastige „Leitkultur“, sondern das Wissen um die eigene Herkunft. „Nur wenn ich weiß, woher ich komme, kann ich Fremden offen begegnen“, sagt sie. Und da eigne sich das St.-Annen-Museum sehr gut, um in Dialog mit anderen zu treten. Zum Beispiel mit Flüchtlingskindern, wie sie es in den vergangenen Monaten bereits in Düsseldorf tat. Das will sie in Lübeck fortsetzen. Sie will im Museum Kinder zusammenbringen, die einander Geschichten erzählen: die Muslime den Christen und umgekehrt, und so Offenheit auf beiden Seiten erzeugen.
Das könne man anhand der Gemälde des Annen-Museums sehr schön. Abraham zum Beispiel komme nicht nur im Christentum vor, sondern auch im Judentum und im Islam. „Unsere Wurzeln sind gar nicht so verschieden“, sagt Täube und kann sich auch interreligiöse Führungen vorstellen, wie es sie in der Hamburger Kunsthalle bereits gibt.
Perspektivwechsel, auch zwischen den Epochen, möchte sie pflegen, zum Beispiel – gemeinsam mit der benachbarten Völkerkunde-Sammlung – eine Ausstellung über Fetische zeigen, zwischen indigenen Völkern und europäischem Mittelalter. So etwas sei extrem fruchtbar, sagt sie, und schwärmt zum Schluss noch einmal von ihrer Ausstellung im Schnütgen-Museum, die vor Jahren Werke von Joseph Beuys mit Mittelalter-Exponaten mischte. Welch verschiedene Besuchergruppen da aufeinanderprallten – das sei unglaublich gewesen. Und erst der Output an Gesprächen: „So etwas wünsche ich mir auch für Lübeck.“ PS
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