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Durchatmen dank Harnstoff

Luftverschmutzung Umweltschützer fordern flächendeckende Überprüfungen der Verkehrsemissionen. Außerdem gibt es eine Idee für den Lieferverkehr in der Stadt

von Karolina Meyer-Schilf

In Bremen werden die von der EU festgelegten Grenzwerte der Stickstoffoxidemissionen nach wie vor deutlich überschritten. Das sagt der Verkehrsreferent des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Bremen, Georg Wietschorke, und fordert eine „flächendeckende lufthygienische Untersuchung“, wie es sie vor zehn Jahren schon einmal gegeben hat. Derzeit werde die Luftqualität nur punktuell an einigen ausgewählten Standorten gemessen, darunter die vielbefahrene Nordstraße und der Dobben. Wichtig sei aber, auch andere stark frequentierte Bereiche zu überprüfen. Dafür müssten keine zusätzlichen Messstationen errichtet werden, es reiche eine Verkehrszählung, auf deren Basis man dann die Luftverschmutzung in dem betreffenden Gebiet berechnen könne, sagte Wietschorke der taz.

Jens Tittmann, Sprecher des Umweltsenators Joachim Lohse (Grüne), sieht das anders: „Wir haben in Bremen, Bremen-Nord und Bremerhaven insgesamt neun Messstandorte, das ist gut und vernünftig über das bremische Gebiet verteilt.“ Zudem würden nach Bedarf Sondermessprogramme durchgeführt, so zum Beispiel an der Deponie Grauer Wall in Bremerhaven: Nach massiven Anwohnerbeschwerden wird dort im Rahmen einer Sondermessung die Feinstaubbelastung erhoben.

Im Übrigen sei die Fokussierung ausschließlich auf verkehrsbezogene Standorte falsch, so der Sprecher des Senators. Vielmehr müsse die gebietsbezogene Belastung überprüft werden, da nicht alle schädlichen Emissionen nur vom Straßenverkehr ausgingen.

Eine weitere Forderung des BUND ist die Ausweitung der Umweltzone: „Wir haben in Bremen die kleinste Umweltzone im Vergleich zu ähnlich großen Städten,“ sagt Georg Wietschorke. In Bremen umfasse sie etwa sieben Quadratkilometer, in Hannover seien es hingegen 50 Quadratkilometer. „Die Umweltzone hat in Bremen schon sehr viel erreicht – aber sie auszuweiten ist aus unserer Sicht nicht sinnstiftend“, sagt dagegen Jens Tittmann. Eher solle man sie verschärfen: „Deswegen hat Joachim Lohse ja auch so für die blaue Plakette gekämpft.“ Die ist aber seit der letzten Verkehrsministerkonferenz erstmal vom Tisch. „Wir zählen in dieser Frage auf die massive Unterstützung des BUND und sollten uns gemeinsam an einen Tisch setzen“, so Tittmann zur taz.

Und wie steht es mit einem Verbot der Neuzulassung von Verbrennungsmotoren bis 2030, wie jüngst von den Ländern im Bundesrat vorgeschlagen? „Das wäre zwar wünschenswert, ist aber nicht realistisch“, sagt Gregor Wietschorke. In erster Linie müssten die Hersteller dafür sorgen, dass die Autos wirklich sauberer werden.

Eine Möglichkeit bei Dieselfahrzeugen ist die „AdBlue“-Technik: Hier wird neben Diesel Harnstoff getankt, der dazu führt, dass ein Dieselfahrzeug bis zu 90 Prozent weniger Stickoxid ausstößt. „Das funktioniert auch, das weiß man“, sagt Gregor Wietschorke. Allerdings sei diese Technik auch mit etwas mehr Aufwand für den Verbraucher verbunden, der daran denken müsse, dass auch immer genug Harnstoff im Tank ist. Das Feinstaubproblem beim Diesel indes ließ sich durch den Einbau von Partikelfiltern beheben. War bislang also immer der Diesel der Böse, rücken dafür nun auch die Benziner in den Fokus: „Die ultrafeinen Stäube, die durch die Benzindirekteinspritzer freigesetzt werden, halte ich für ein sehr unterschätztes Problem“, erklärt Wietschorke.

Die Partikel, die lediglich in Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen werden, dringen tief in den Lungentrakt ein. Bis es also so weit ist, dass in Deutschland ganz auf Verbrennungsmotoren verzichtet werden kann, empfiehlt Wietschorke einen Benzinhybridmotor oder einen Diesel, der die Euro-6-Norm erfüllt. „Dennoch wird man auch um Fahrverbote nicht herumkommen“, sagt Wietschorke, „wenn man dauerhaft die Grenzwerte einhalten will.“

Böse Partikel

Verbrennungsmotoren stoßen Stickoxide und Feinstaub aus, beides ist schädlich für die Gesundheit. Die Folgen reichen von Schleimhautreizungen über lokale Entzündungen bis zu Veränderungen der Herzfrequenz.

Je kleiner die Partikel, desto gefährlicher sind sie, weil sie bis in die Lungenbläschen gelangen können – ultrafeine Partikel können sich sogar im Blutkreislauf niederlassen.

Aber nicht nur der Straßenverkehr sorgt für Luftverschmutzung in den Städten, sondern auch private Öfen oder Heizungen sowie die Industrie.

Die EU hat 2005 Grenzwerte festgesetzt, die jedoch immer noch regelmäßig überschritten werden. Insgesamt geht die Belastung laut Umweltbundesamt aber seit 1990 zurück. (taz)

Das könnte auch im öffentlichen Nahverkehr zu Problemen führen, denn auch die Busse der BSAG fahren mit Diesel. Bei einem allgemeinen Fahrverbot fielen die ebenfalls aus. „Die BSAG will ihre Flotte aber langfristig umstellen, und sie tut auch etwas dafür“, sagt Wietschorke.

Ein wesentlicher Verursacher von Luftverschmutzung bleibt der innerstädtische Lieferverkehr. Der Bremer BUND fordert eine Umstellung der Belieferung der Innenstadt auf emissionsfreie Fahrzeuge. Bislang fahren die großen 40-Tonner bis zum Güterverkehrszentrum, von wo die Waren auf kleinere LKW verteilt zum Bestimmungsort gebracht werden. Hier, so eine Idee des BUND, könnte man entweder auf Elektro-LKW umsatteln oder sogar noch besser: Das Verkehrszentrum endlich an das Straßenbahnnetz anschließen.

Tatsächlich beginnen in wenigen Wochen Gespräche zu der Frage, wie auch in Bremen öffentlicher Nahverkehr zur Warenauslieferung eingesetzt werden kann. „Wir schauen uns das sehr intensiv an“, sagt Jens Tittmann. Ein Modellprojekt in Dresden macht es vor: Dort transportiert eine von Volkswagen finanzierte Straßenbahn die benötigten Teile für die Produktion vom Bahnhof bis zum Werk. Warum nicht auch bei Mercedes? Dort äußerte man sich bis Redaktionsschluss noch nicht. Aber wenn das Bremer Werk demnächst das erste Elektro-Auto mit Stern produziert, wäre die emissionsfreie Anlieferung der Teile ein wichtiger Schritt.

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