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Anlaufstelle Kirche

AsylIn einem Kreuzberger Gotteshaus bekommen Geflüchtete kostenlose Hilfe im Umgang mit Behörden, Kurse und Freizeitangebote. Seit einem Jahr gibt es das von Kirchen und dem Land finanzierte Angebot

„Leben Flüchtlinge von der Bevölkerung isoliert, werden sie lethargisch“

A. Dietrich, Leiterin Flüchtlingskirche

von Marina Mai

Es ist kurz vor 10 Uhr morgens. Zwei afghanische Männer, eine Familie aus dem Irak und eine Kosovarin sitzen auf der Treppe vor der evangelischen St.-Sime­on-­Kirche in der Kreuzberger Wassertorstraße. Sie warten auf die asylrechtliche Beratung, die aber erst in eineinhalb Stunden beginnt.

Seit genau einem Jahr ist das Kreuzberger Gotteshaus Berlins Flüchtlingskirche. Unter Asylsuchenden hat sich längst herumgesprochen, dass man hier professionelle und kostenlose Hilfe im Asylverfahren bekommt. Die Beratung hier gehört zu den qualitativ besten Angeboten ihrer Art in Berlin. Nicht nur sind spezialisierte Juristen im Einsatz: Die Berater sind auch gut vernetzt und können Hilfesuchende, bei denen alle juristischen Messen gesungen sind, an die Härtefallkommission oder auch in ein Kirchenasyl vermitteln.

Die Einrichtung der Berliner Flüchtlingskirche am 8. Oktober 2015 geht auf einen Beschluss der Landessynode zurück. Eine Million Euro hat die Kirche dafür bereitgestellt. Geld des Landes Berlin und Mittel der „Aktion Mensch“ kommen hinzu. In dem historischen Gebäude ist auch noch eine normale Gemeinde zu Hause. Gottesdienste am Sonntag werden oft mit Geflüchteten gefeiert.

Um 10 Uhr an diesem Wochentag füllt sich der Hauptraum der Kirche mit Neuankömmlingen. Männer, Frauen und Kinder sitzen an Holztischen, trinken Wasser, surfen im Internet, lernen deutsche Vokabeln. „Nicht jeder, der hierher kommt, wartet auf die Beratung“, erläutert Anke Dietrich, die Leiterin der Flüchtlingskirche. Für Bewohner der benachbarten Turnhalle sei die Kirche eine Möglichkeit, der beengten Unterkunft zu entkommen und das Internet zu nutzen. Hier gibt es WLAN. Auch gibt es Freizeitangebote für Frauen und Deutschkurse. Sie zielen auf Geflüchtete, die keinen staatlich finanzierten Kurs finden.

„Täglich nehmen bis zu 60 Geflüchtete das Beratungsangebot, die Kurse oder die Gesundheitssprechstunde wahr“, erläutert Anke Dietrich. „Regelmäßige kulturelle Veranstaltungen, bei denen Geflüchtete ihr Können im Bereich Musik, Tanz, Akrobatik oder Theater zeigen, gehören ebenso zum Programm.“

Die Flüchtlingskirche beschränkt sich nicht auf die Arbeit im Gebäude selbst. Ihre haupt- und ehrenamtlichen Akteure wirken als Netzwerker in die Landeskirche hinein. Sie bieten Fortbildungen zu asylrechtlichen Fragen an oder einen Austausch über Flüchtlings-Taufkurse für Pfarrer. Und sie regen Projekte an, bei denen Kirchengemeinden Flüchtlingen dringend benötigten Wohnraum in kircheneigenen Gebäuden oder Privathäusern organisieren.

Auch Supervision und Seelsorge für ehrenamtliche und hauptamtliche Flüchtlingshelfer gehören zum Angebot. Wer im sozialen Bereich arbeitet, hat eigentlich Anspruch auf Supervision. In der Flüchtlingsarbeit, wo das besonders notwendig wäre, ist das aber nicht überall Standard.

Auch wenn derzeit weniger Flüchtlinge nach Berlin und Brandenburg kommen, werden die Aufgaben der Flüchtlingskirche nicht weniger. Laut Leiterin Dietrich verändern sich indes die Ansprüche: „Wenn Flüchtlinge von der normalen Bevölkerung isoliert leben und nur auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, werden sie lethargisch. Sobald sie aktiv werden, entwickelt sich Erstaunliches.“

Sie berichtet von interkulturellen Imbissangeboten, die Flüchtlinge gegen Spenden anbieten, und von Menschen, die ihre handwerklichen Fähigkeiten entfalten, sobald sie eine eigene Wohnung haben. Und sie hat viele Ideen, wie Kirche und Zivilgesellschaft bei der Beteiligung helfen können: Es müsste zum Beispiel mehr Praktikumsplätze geben. Mehr privaten Wohnraum. Mehr Kontakte zwischen Familien.

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