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Die Sprache der anderen auf der Zunge

Reingeschmeckt Auf den „Wertewochen Lebensmittel“ bringen Berliner nicht nur die große kulturelle Vielfalt der Stadt auf den Teller. Kulinarische Entdeckungen verbinden sich dabei mit kulturellem Austausch. Aus der Küche kommen viele Geschichten

von Kristina Simons

Menschen aus rund 190 Nationen leben in Berlin. Entsprechend groß sind nicht nur die kulturelle und religiöse, sondern auch die kulinarische Vielfalt. Unter dem Motto Esskulturen Berlin lädt die Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz in diesem Jahr zum vierten Mal zu den Wertewochen Lebensmittel ein. Sie laufen bereits seit dem 15. September und noch bis zum 3. Oktober. Es geht um Rituale und Rezepte aus anderen Zeiten, Kulturen und Regionen, um Essen in der Kunst, aber um auch die Wiederentdeckung alter Handwerkstechniken in der Lebensmittelherstellung. Ein schönes Beispiel dafür gibt Florian Domberger: Mit seiner historischen mobilen Bäckerei hat er bei seiner Aktion Brote aus der Heimat gemeinsam mit Geflüchteten aus Neuköllner Not- und Gemeinschaftsunterkünften Backwaren aus den Heimatländern der Geflüchteten zubereitet. „Gegenseitiges Verstehen durch Brotbrechen – das wird in allen Kulturkreisen verstanden, selbst wenn man die Sprache des anderen nicht spricht“, sagt er.

Bei den Wertewochen Lebensmittel stellen sich Erzeuger, Gastronomen, Händler, Wochenmärkte, Schulen, einige Kleingartenkolonien und internationale Kulturvereine wie der Kamerun Kultur Verein und der Türkische Bund Berlin-Brandenburg sowie Vertreter der Kunst- und Kulturszene in allen Bezirken den Berlinern vor: bei Workshops und Führungen, Kochaktionen und Verkostungen, Führungen und Ausstellungen. Berlins Verbraucherschutzsenator Thomas Heilmann fasst die Idee hinter den Wertewochen so zusammen: „Wir wollen mit dieser Kampagne die Wertschätzung für Lebensmittel fördern, und das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern unterhaltsam, informativ und natürlich beim gemeinsamen Essen.“ Einige Kostproben fürs erste (verlängerte) Oktoberwochenende: In der Kleingartenkolonie Grüne Aue in Tempelhof Schöneberg kann man heute türkische Spezialitäten aus Obst und Gemüse kennenlernen und verkosten, die in den dortigen Kleingärten gewachsen sind.

Wer eine Sprache mal von ihrer kulinarischen Seite kennenlernen will, kann ebenfalls heute eine der drei Veranstaltungen Französisch, Türkisch oder Italienisch für Feinschmecker im Kreuzberger Social Impact Lab besuchen: Vier bis zehn Teilnehmer bereiten unter Anleitung landestypische Gerichte zu und verspeisen sie anschließend gemeinsam. Angeboten werden sie von Feinsprecher – Sprachen für Feinschmecker. Auch sonst kann man hier übers Jahr verteilt Wochenend-Schnupperkurse oder über mehrere Wochen laufende Sprachkurse inklusive Kochsessions besuchen. „Feinsprecher ist kommunikativer Sprachunterricht, bei dem Sprachen im Kontext der jeweiligen Esskultur gelehrt werden“, erklärt Gründerin Deniz Julia Güngör. „Beispiele für Grammatik und Redemittel werden aus der weiten kulinarischen Welt generiert.“ Neben dem Thema Essen geht es aber auch um Geografie, Geschichte und Kunst. Die Kochsequenzen ergänzen das Ganze als sinnliches und gemeinschaftliches Ereignis und als praktische Übung. „Gemeinsam bereiten wir Sprachen und Speisen zu appetitlichen und gut verdaulichen Häppchen zu. So wird jede Vokabel und jede Grammatiklektion zum Gaumenschmaus.“

Der Herd ruft

Einer der Partner der Wertewochen Lebensmittel 2016 ist die Berlin Food Week. Vom 1. bis 8. Oktober treffen sich im Kraftwerk Mitte und an anderen Orten Berlins „Spitzenköche, Gastronomen, Unternehmen, Journalisten, Foodies, Blogger und alle Menschen, die gutes Essen lieben“. Das Programm – von der Actionküche über ein spezielles Stadtmenü in 50 teilnehmenden Restaurants bis zur Food Clash Canteen mehrerer Spitzenköche – soll zeigen, was Berlin kulinarisch alles zu bieten hat. Offizieller Länderpartner ist in diesem Jahr Mexiko.

www.berlinfoodweek.de

Bis zum 3. Oktober veranstaltet das Festival Stadt Land Food in der Kreuzberger Markthalle Neun und dem angrenzenden Kiez wiederholt Werkstätten zu zehn verschiedenen Lebensmitteln von Käse bis Kaffee, Brot bis Bier, außerdem einen Markt mit über 150 Händlern und ein Kultur- und Kinderprogramm. Das Leitthema ist in diesem Jahr Identität. „Essen macht mehr als satt“, sagt Lili Ingmann von der Markthalle Neun. „Es kann Geschichten erzählen von Herkunft, Familie, Kultur, Heimat – und genauso von ihrem Verlust.“ Damit sei Essen ein Stück Identität. „Wenn wir auf dem Festival Fragen zu einer fairen Ernährungskette und ihren Bedingungen beackern, geht es genau um diesen Zusammenhang.“ Kulinarische Geschichten – von Alt-Berlinern, ehemaligen „Gast“-Arbeitern, Geflüchteten oder Zugezogenen, Deutschen, Türken, Polen oder Syrern – und der soziale Akt des gemeinsamen Essens sollen sich in allen Formaten des Festivals widerspiegeln.

Im Rahmen des Stadt Land Food-Festivals findet zudem ein politischer Kongress vom Bündnis Wir haben es satt! statt. „Während Bayer und Monsanto zu einem Megakonzern fusionieren, um so den weltweiten Saatgutmarkt zu monopolisieren, machen Zehntausende Menschen in Berlin-Kreuzberg deutlich, dass sie eine andere Vorstellung von Essen haben: regional und handwerklich produziert sowie bäuerlich-ökologisch angebaut.“ So beschreibt Bündnis-Sprecher Christian Rollmann die Intention des Kongresses.

www.wertewochen-lebensmittel.de

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