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Unterbrochene Karrieren

Europäischer Monat der Fotografie Das Verborgene Museum rekonstruiert die Geschichte der jüdischen Fotografinnen Gerti Deutsch und Jeanne Mandello, die in den 1930er Jahren emigrieren mussten

Jeanne Mandello, Wäscheleine, Arles, um 1965 Foto: Isabel Mandello de Bauer

von Christina Steenken

Ausbildung zur Fotografin, erste Arbeiten, und dann der plötzliche Bruch: das Leben im Exil. Die Fotografinnen Gerti Deutsch und Jeanne Mandello waren beide Jüdinnen und teilten ein Schicksal – die Emigration in den 1930er Jahren. Deutsch von Wien nach London, Mandello von Berlin über Paris nach Montevideo.

Das Verborgene Museum in Charlottenburg präsentiert nun die Arbeiten der beiden Fotografinnen in der Ausstellung „Schicksal Emigration“, die im Rahmen des „Europäischen Monats der Fotografie“ stattfindet. Gerti Deutsch und Jeanne Mandello erlernten den damals modernen Beruf der Fotografin und gehörten somit der Generation von Frauen in den 1920er Jahren an, die einen Beruf erlernen, selbstständig sein und am Geschehen der Öffentlichkeit teilnehmen wollten.

Jeanne Mandello, 1907 in Frankfurt am Main geboren, erlernt die Fotografie am Lette-Haus in Berlin. Während eines Praktikums bei dem Leica-Pionier Paul Wolff kommt sie zum ersten Mal mit dem Fotojournalismus in Kontakt. 1929 eröffnet sie zurück in Frankfurt ihr erstes eigenes Atelier.

Flucht nach Paris

Da ihr die Angriffe auf jüdische Einrichtungen und Personen durch Nationalsozialisten zu gefährlich werden, flüchtet Mandello 1934 nach Paris, wo sie als Modefotografin für große Designer wie Chanel oder Balanciaga arbeitet – bis zum Überfall der Nationalsozialisten auf Frankreich 1940, der ihre Karriere von einem auf den anderen Tag beendet. Vorübergehend wird Mandello im Lager Gurs interniert, kann aber fliehen und sich nach Uruguay absetzen, wo sie ihre Arbeit in der Porträtfotografie schließlich weiterführt.

Monat der Fotografie

Die Ausstellung „Schicksal Emigration“ im Verborgenen Museum in der Charlottenburger Schlüterstraße 70 ist bis 5. Februar 2017 zu sehen. Öffnungs­zeiten Donnerstag, Freitag 15–19 Uhr, Samstag, Sonntag 12–16 Uhr.

Die Schau findet im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie statt, der in Berlin im Oktober so ziemlich alle Aspekte und Positionen der Fotografie besichtigen lässt bei 130 Ausstellungen der 120 teilnehmenden Institutionen, von Museen über Galerien, Botschaften bis hin zu Projekträumen – das größte deutsche Fotofestival, seit 2004 findet es alle zwei Jahre statt. Programm: www.emop-berlin.eu

Gerti Deutsch wird 1908 in Wien geboren und besucht dort bis 1934/35 die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt, die sie zur Fotografin ausbildet. 1936 verlässt sie Wien, um nach London zu gehen – zwei Jahre vor Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Deutsch favorisiert in ihrer Arbeit Alltagsmotive und Porträtaufnahmen.

Wenn beispielsweise der österreichische Maler und Schriftsteller Oskar Kokoschka 1958 in einer ihrer Aufnahmen durch Salzburg geht, in der rechten Hand einen Regenschirm, die linke Hand locker in der Hosentasche, dann entsteht im Bild eine Leichtigkeit, die die Bewegung verblüffend einfängt. Oder zwei ältere Frauen, die in der italienischen Stadt Sabbioneta auf einer Straße sitzen und stricken. Der Betrachter wird dort zum leisen Beobachter einer intimen Straßenszene.

Deutsch ist an den Menschen interessiert, weshalb ihre Aufnahmen immer kleine Geschichten aus einer respektvollen Distanz erzählen. Doch auch politisch aktuelle Themen interessieren sie. Da Deutsch selbst Geflüchtete in London ist, entsteht 1938 die Fotoreportage „Their first day in England“ zu Transporten jüdischer Kinder aus Deutschland, die wie viele weitere ihrer Reportagen in der Picture Post erscheint.

Mandello mag Alltagsszenen genau wie Deutsch, arbeitet aber eher gestalterisch. Sie nimmt sich Zeit für jedes einzelne Foto und verzichtet auf gestellte Posen – besonders das Spiel mit Licht und Schatten beeinflussen ihre Arbeiten, wie in der Ausstellung beispielsweise die Aufnahme „Weiblicher Akt“ von 1928 zeigt. Fotografien von Pflanzen in Nahaufnahme, die teilweise wirken, als seien sie mit einem Mikroskop entstanden, unterstreichen Mandellos Interesse an klaren Formen.

„Es ist so, als wenn zwei Menschen ­mit­einander reden – es gibt einen ­Dialog, aber auch Kontraste“

Der Kurator Kurt Kaindl

Ihre Bilder bestechen durch ein Höchstmaß an künstlerischem Aufbau, der den Aufnahmen Stabilität und Ruhe gibt. Die Fotografien, die von Mandello in der Ausstellung gezeigt werden, stammen größtenteils von nach 1945. Bei ihrer Flucht aus Paris musste sie Abzüge, Ausstattung und Negative zurücklassen, zudem brannte ihr Atelier in Frankfurt aus – es wurde von Bomben zerstört.

Klug sind in den drei Räumen die Aufnahmen nach Themen zusammengestellt, nicht chronologisch oder biografisch. „Es ist so, als wenn zwei Menschen miteinander reden – es gibt einen Dialog, aber auch Kontraste“, so Kurt Kaindl, Kurator der Bilder von Gerti Deutsch.

Die Werke der zwei Fotografinnen aus dem Verborgenen herauszuholen und ihnen einen Platz in der Fotografiegeschichte zu geben ist das Anliegen der Ausstellung. Zumal die Schwarzweiß-Aufnahmen in ihrer Bildsprache nicht an Aktualität verloren haben, wie auch Sandra Kegel, Kuratorin der Bilder von Jeanne Mandello, betont: „Die Ästhetik ist einfach nicht gealtert.“

Zwei Kataloge zum Werk von Gerti Deutsch und Jeanne Mandello sind im Verborgenen Museum erhältlich

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