: Die Bewegtheit der Klänge
Festival Bei der zweiten Ausgabe von „Labor Sonor“ im Ballhaus Ost wird die Körperlichkeit der Klangerzeugung zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung, wenn durch Choreografie Musik entsteht
von Franziska Buhre
Ein Ton braucht Bewegung, um zu erklingen, sei es ein Atemzug, ein Handgriff, eine Armgeste, ein Fußwippen, ein elektrischer Impuls oder die Rotation eines Plattentellers. Im Konzert sind wir gewohnt, visuelle Eindrücke mit der vernehmbaren Musik zu synchronisieren. Was aber kann entstehen, wenn die Abgleichung von Musik und Bewegung vorübergehend aufgehoben und die Körperlichkeit der Klangerzeugung selbst zum Thema einer künstlerischen Auseinandersetzung wird?
Das Labor Sonor, eine Plattform der Berliner Echtzeitmusik-Szene, bereitet dieser Frage mit dem Festival „Moving Music“ im Ballhaus Ost eine Bühne. Es ist die zweite Festivalausgabe zu einer höchst bestrickenden Idee der beiden Composer-Performer Andrea Neumann und Christian Kesten und des Musikwissenschaftlers Matthias Haenisch. Nachdem die erste im letzten Jahr auf Übersetzungprozesse von Musik in Musik fokussierte, gilt die Aufmerksamkeit nun transdisziplinären Verfahren: Sechs Choreograf_innen wurden von Laborsonor damit beauftragt, für Composer-Performer zu komponieren.
Dieser Ausgangsgedanke ist nicht so abwegig, wie er zunächst scheinen mag, denn Choreografie bedeutet von ihrer altgriechischen Wortherkunft her die Schreibung von Tanz, in den Raum oder als fixierte Aufzeichnung. Der Notation von Musik ist Choreografie also verwandt, aber der Umgang mit herkömmlichen Partituren spielt in zeitgenössischen Strömungen beider Künste keine Rolle. Es sind vielmehr Fragen nach Präsenz und Gegenwärtigkeit, die experimentelle Künstler_innen umtreiben und zu Reflexionen über den eigenen Körper auf der Bühne anregen. „Als Musiker und Performer komponiere ich auch die Aktion im Raum und meine Bewegungen,“ meint Christian Kesten im Gespräch zu viert. „Ein klingendes Musikstück ist genauso eine Bewegungskomposition, deshalb ist es für mich naheliegend, dass sich die Methoden von Musiker_innen und Choreograph_innen begegnen.“
Matthias Haenisch beschreibt den Reiz dieser Begegnungen so: „Der choreografische Blick verändert das Musikmachen. Alle Beteiligten begeben sich in Situationen, die nicht absehbar sind und arbeiten mit Widerständen der Praktiken, der Körper. Klang ist ja sowohl materiell als auch immateriell, das ist eine der Herausforderungen an die Choreograf_innen.“ Andrea Neumann ergänzt: „Gerade in der Echtzeitmusik-Szene machen Composer-Performer Sachen, die man so nicht erwarten würde. Viele reflektieren inzwischen darüber, wie ihr Tun auf der Bühne wirkt. Aber so wie Choreograf_innen, denken Menschen, die mit Klang befasst sind, selten. Der choreografische Blick wird nun mit einbezogen in das ästhetische Ergebnis, das neue Resultat ist ein Hybrid. Unsere Hoffnung ist, dass sich Bewegungen wie Klänge darstellen und umgekehrt.“
Bevor an zwei Abenden die Ergebnisse der Zusammenarbeiten gezeigt werden, bringt das Festival die Künstler_innen der verschiedenen Tandems miteinander ins Gespräch. Die beiden Panels sind integraler Bestandteil von Moving Music, um das künstlerische Wissen der Beteiligten und ihre Erfahrungen in den neuen Konstellationen für die Theoriebildung zu nutzen. Unter den zehn Musiker_innen, die abends in Soli oder Duetten auftreten, sind vier Mitglieder des Splitter Orchester, Berlins Großformation für experimentelle Musik.
Die Geigerin Biliana Voutchkova gibt am Freitagabend den Auftakt mit einem Solo, das sich aus Notaten speist, in welchen die Choreografin Litó Walkey ihre Sinneseindrücke vom Spiel Voutchkovas festgehalten hat. Die beiden haben den Prozess von Geigenspiel, notierter Beschreibung und deren erneuter Interpretation durch die Musikerin mehrmals wiederholt, sodass beide Verfahren in einer Schleife aufeinander einwirken. Die Choreografin Antonia Baehr materialisiert zunächst unsichtbare Verbindungen zwischen dem Geiger Johnny Chang, der Stimme von Neele Hülcker und dem Akkordeon von Lucie Vítková als Schläuche, die alle drei Performer miteinander verbinden und ihnen ermöglichen, mit der eigenen Aktion den Klang der anderen Instrumente zu beeinflussen. Die Schläuche fungieren dabei zugleich als visuelles Gestaltungselement des Bühnenraums. Nile Koetting hat sich mit und für die Sängerin und Geigerin Annie Gårlid mit der disziplinierenden Körperpraxis der klassischen Musik beschäftigt, Fernanda Farah fragte sich für Lucio Capece und Sabine Ercklentz nach den Grenzen scheinbar neutraler Präsenz.
Takako Suzuki tritt als einzige der Choreograf_innen bei Moving Music selbst auch auf der Bühne in Erscheinung, indem sie mobile Wände verstellt, um den Widerhall aus Robin Haywards Tuba im Raum in seinen verschiedenen Facetten auszuloten. Hayward seinerseits ist herausgefordert, sein Spiel durch Bewegung in der veränderlichen Schallumgebung zu erforschen.
Auch der Schlagzeuger Steve Heather bewegt sich durch den Raum, um zu seiner Snare Drum zu gelangen, welche den Choreographen Clément Layes als Objekt interessiert und die er deshalb von oben herabhängen lässt. Der Gedanke, sich vom eigenen Instrument einmal ganz anders bewegen zu lassen, gehört nicht unbedingt zur alltäglichen Praxis von Musiker_innen. Da Choreograf_innen bei Moving Music nun die sichtbaren und verborgenen Fäden der Klangerzeugung ziehen, werden die Aufführungen zum Vergnügen für Auge und Ohr.
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