Kommentar Junckers EU-Rede: Viel Schutz und ein bisschen Firlefanz
Sicherheit in der EU wird als Grenzschutz und Aufrüstung verstanden. Ein bedenklicher Trend. Doch Juncker hat auch Gutes zu bieten.
N ein, ein Ruck wird nach dieser Rede nicht durch Europa gehen. Kommissionschef Jean-Claude Juncker war bei seinem Auftritt im Europaparlament weniger leidenschaftlich und weniger überzeugend als noch vor einem Jahr. „Zu wenig Europa, zu wenig Union“, hatte er damals, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, ausgerufen.
Nun sieht er die EU in einer „existenziellen Krise“ – erwähnt die Migration aber nur noch am Rande. Plötzlich geht es nicht mehr um offene Grenzen und eine faire Lastenteilung, sondern um Sicherheit und Verteidigung. „Europa muss seine Bürger schützen“, fordert Juncker im Chor mit EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Damit haben sich nicht nur die Akzente verschoben. Es ist ein Paradigmenwechsel, in dem Flüchtlinge – zumindest indirekt – als Gefahr erscheinen, die man abwehren muss. Denn Sicherheit wird vor allem als Grenzschutz, als Aufrüstung und militärische Zusammenarbeit verstanden. Ein bedenklicher Trend.
Ansonsten wirkte Juncker ein wenig wie der nette Onkel, der weiß, das es seinem Enkelkind schlecht geht, und es deshalb mit Geschenken überhäuft. Kostenloses Roaming, schnelleres Internet, Bildung für alle – ein Kessel Buntes, der nett gemeint ist, das arme Kind aber kaum zufriedenstellen wird.
Juncker hat seine Vorschläge vor allem an den Wünschen der Staats- und Regierungschefs ausgerichtet, die am Freitag in Bratislava zu einem Sondergipfel zusammenkommen. Er hat keine große Ruck-Rede gehalten, sondern sich in Realpolitik geübt, damit der zerstrittene Laden nicht endgültig auseinanderfliegt.
Dabei hat er ein paar erfreuliche Akzente gesetzt. So pocht er, der ehemalige Chef des Steuerparadieses Luxemburg, plötzlich auf Steuergerechtigkeit. Zugleich rückt er weiter von der Sparpolitik ab. Die EU will mehr Investitionen fördern und nicht nur kürzen und strafen. Auch das ist ein Paradigmenwechsel, diesmal ein guter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“