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Integration Der Schriftsteller Zafer Şenocak über die Schwierigkeit, deutsch zu werden„Beim Fußball kommt's immer raus“

Nicht einfach, aber besonders wichtig: Deutsch lernen Foto: Jens Wolf/dpa

von Gernot Knödler

taz: Herr Şenocak, was ist deutsch?

Zafer Şenocak: Das ist die Muttersprache des Landes, in dem ich lebe.

Das heißt, es würde reichen, Deutsch zu lernen, um Deutscher zu werden?

Vor allem wäre es wichtig. Ich glaube, dass die Sprache hier besonders wichtig ist. Nicht nur das Beherrschen der Sprache, sondern auch das Einüben in die Sprache, das Genießen, das sich Ärgern in der Sprache.

Nun können ja viele Zuwanderer Deutsch und trotzdem scheint es schwierig für sie, Deutsche zu werden.

Die emotionale Annäherung an eine Sprache ist etwas anderes, als die Sprache zu können. Es geht darum, dass man in der Sprache ein Zuhause hat. Das ist etwas sehr Deutsches, weil das Land kein Gemeinschaftsgefühl erzeugt. Das Besondere an Deutschland ist, dass es regional geprägt ist und es das Deutsche an sich nicht gibt. Politisch ist Deutschland eine Fantasie.

Und trotzdem würde sich die Schleswig-Holsteinerin genauso wie die Bayerin als Deutsche begreifen.

Als Deutsche bezeichnen. Begreifen – das würde ich in Frage stellen. In der Sprache kommt so ein Gemeinschaftsgefühl trotz der vielen Mundarten auf und hat natürlich auch eine Tradition. Aber politisch? Wo wollen wir denn da ansetzen? Beim Hambacher Fest, 1945, 1989?

1945 ist vielleicht gar kein schlechtes Stichwort, weil viele Deutsche sich sehr auf die Katastrophe des „Dritten Reichs“ beziehen.

Das ist schon etwas, das die Identität ausmacht in der Negation. Gleichzeitig stellen wir fest, etwa bei der Debatte über den Begriff „völkisch“, dass es Gegentendenzen gibt, in denen das Deutsche auch drinsteckt. Es wäre nicht ehrlich zu sagen, das ist nicht deutsch, obwohl das gut gemeint ist.

Sie sprechen von den deutschen Tabus?

Wir schließen den Nationalsozialismus aus und eigentlich ja schon den deutschen Nationalismus. Zu den ausgeblendeten Tendenzen gehört, dass sich das Deutschsein sehr schwertut mit dem sich annähernden Fremden. Gar nicht so sehr mit dem sich abgrenzenden Fremden, demjenigen, der sich ganz anders darstellt und sagt, ich hab‘ mit Euch eh nichts zu tun. Das Problem ist der sich assimilierende Fremde. Das war letztlich das deutsch-jüdische Problem.

Es gibt ja assimilierte Einwanderergruppen, mit denen es solche Probleme nicht gab. Was machte den Unterschied bei den Juden?

Die Religion. Bei den Muslimen gibt es eine gewisse Parallele. Die Polen als Gegenbeispiel waren katholisch und sie kamen ins Rheinland. Das passte schon mal sehr gut. Das war in Berlin schon schwieriger. Deutschland ist immer ein Einwanderungsland gewesen. Und ich sage nicht, dass das heute schlecht geht. Ich habe nur das Gefühl, dass diese Annäherung an die Kultur schwieriger ist, als Distanz zu halten.

Warum?

Weil die Akzeptanz nicht selbstverständlich ist. Die ist immer so mühsam und mit Beiwörtern geschmückt. Dass ich überhaupt zum Thema Integration spreche, ist ja ein Beispiel dafür. Ich bin als Kind nach Deutschland gekommen. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich hier zu Hause bin und dass ich Teil dieses Landes bin. Diese Selbstverständlichkeit ist in den 80er-Jahren verloren gegangen.

Obwohl doch zumindest der wohlwollende Teil der Bevölkerung es peinlichst vermieden hat, Ausländer als solche zu titulieren.

Bis in die 80er. Davor war ja die Gastarbeiterphase. Die wird ja immer so schlechtgemacht, dabei war das die phantastischste Phase, die Deutschland je erlebt hat, was Begegnungen mit Fremden angeht. Millionen Menschen unterschiedlichster Sprache, Herkunft und Sitte wurden aufgenommen. Ex­trem viele von ihnen waren erfolgreich.

Trotzdem sind ihre Kinder und Enkel weiter entfernt von diesem Land als sie selbst.

Die Kinder nicht, das sind ja wir: Cem Özdemir und ähnliche Leute. Wir haben uns assimiliert. Wir waren natürlich weniger. Ich war lange Zeit in der Schule der einzige Türke und wurde auch gar nicht als solcher gesehen. Was nicht geklappt hat, ist dieser Übergang: Das Rüberretten der Botschaft „Das klappt ja sehr gut“ in die nächste Generation.

Foto: Fotoarchiv Babel, Verlag B. Tulay
Zafer Şenocak

55, kam als Neunjähriger mit seiner Familie von Ankara nach München. Der Schriftsteller beschäftigt sich damit, was „Deutsch sein“ ausmacht. Im taz.salon diskutiert er darüber, warum Fremde es hier schwer haben.

Gilt das für alle Migrantengruppen?

Es ist eine Fiktion, dass nur die Türken hier ein Nationalitätenleben entwickelt hätten. Schauen Sie sich die Italiener an: Welcher Italiener in der dritten, vierten Generation würde sich als Deutscher bezeichnen? Ich kenne keinen einzigen. Beim Fußball kommt‘s immer raus. Das fällt nicht auf, weil es unter dem Label „Europa“ aufgeht.

Sie schreiben, dass es schwierig sei, sich in die deutsche Mentalität einzudenken.

Das ist das nicht Politische am Deutschsein. In die Politik können Sie sich einleben. Sie hat Strukturen, sie korrespondiert mit Gesetzen. Das ist etwas, wo sich alle hinzugesellen können. Doch die Mentalitätsgeschichte überwiegt das Politische.

Was ist die Mentalität?

Nicht nur die Sprache, sondern auch das, was heute Abwehr hervorruft. Man ordnet sein Leben in einer bestimmten Art und Weise und fühlt diese Ordnung gefährdet durch andere.

Wo sehen Sie die Gründe dafür?

In der Nicht-Staatlichkeit. Der deutsche Staat hat sich spät manifestiert und demokratisiert. Und das in einer Nation, die sich als Volk begreift. Das ist ein apolitischer Begriff, bei dem der Staat eine unerreichbare Sehnsucht darstellt, unter der aber das deutsche Wesen geistert.

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