piwik no script img

Fakten schaffen vor dem G-20-Gipfel

TÜRKEI Die Präsidenten Erdoğan und Obama werden sich in China treffen, um über Syrien zu reden

AUS ISTANBUL Jürgen Gottschlich

Nach dem Einmarsch türkischer Truppen und der mit ihnen verbündeten „Freien syrischen Armee“ (FSA) in Dscharabulus droht nun eine Schlacht um Manbidsch. Die Stadt wurde vor zwei Wochen von kurdischen Milizen der YPG mit US-Luftunterstützung vom „Islamischen Staat“ (IS) befreit und wird nun von den Kurden verwaltet.

Aus Sicht der türkischen Regierung hat die YPG mit der Eroberung von Manbidsch eine rote Linie überschritten. Die Stadt liegt westlich des Euphrat, und Ankara will die YPG dort nicht dulden, weil sie von Manbidsch aus leicht einen Korridor zu der kurdischen Enklave Afrin errichten könnte und damit ein großes Gebiet entlang der Grenze kontrollieren würde.

Seitdem streitet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit den USA, weil diese versprochen haben sollen, dass sich die Kurden nach der Eroberung von Manbidsch auf die Ostseite des Euphrats zurückzuziehen. Doch offenbar gibt es dazu in der US-Regierung unterschiedliche Auffassungen. Während Vizepräsident Joe Biden den Türken bei einem Besuch vergangene Woche Unterstützung zugesagt hatte, kritisierte Verteidigungsminister Ashton Carter den Nato-Partner, weil dieser mit dem Druck auf die YPG den Kampf gegen den IS behindern würde. Gleichzeitig unterstützte die US-Luftwaffe jedoch den türkischen Einmarsch in Dscharabulus gemeinsam mit der FSA. Die New York Times führte die unterschiedlichen Stellungnahmen in den USA am Dienstag darauf zurück, dass die CIA seit Langem die FSA unterstütze, während das Pentagon mit der kurdischen YPG liiert sei.

Am Sonntag wird sich Erdoğan am Rande des G-20 Gipfels in China mit US-Präsident Barack Obama treffen, um über Syrien zu reden. Allein die Begegnung wäre bereits ein Erfolg Erdoğans, der lange nicht mehr von Obama empfangen worden war. Als neuen Kriegsherrn in Syrien kann Obama ihn nun nicht mehr ignorieren.

Vermutlich wird die Türkei vor dem Treffen der Präsidenten versuchen, in Manbidsch Fakten zu schaffen. Trotz der Proteste des Pentagon sind FSA-Milizen und türkische Panzer auf dem Vormarsch nach Manbidsch, um die Kurden zu vertreiben. Gelingt dies bis Sonntag, kann Erdoğan Obama vor vollendete Tatsachen stellen.

Es ist bezeichnend für die verworrene Lage, dass in Manbidsch zwei Milizen, die von unterschiedlichen Institutionen der US-Regierung protegiert werden, gegeneinander antreten könnten. Erdoğan hat am Dienstag nochmals klargestellt, dass die türkischen Truppen und die FSA so lange vorrücken werden, bis sich alle YPG-Kämpfer auf die östliche Seite des Euphrats zurückgezogen haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen