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Als wären sie durch den Wald gegangen

Mahnmal Über den Moabiter Güterbahnhof wurden die meisten Berliner Juden in Richtung Osten deportiert. Nun gibt es Entwürfe für ein Mahnmal am Bahnhof selbst, zu sehen in der Topographie des Terrors

Der favorisierte Entwurf zum Mahnmal am Güterbahnhof Moabit von Raumlabor Foto: Raumlabor

von Sonja Vogel

250 Quadratmeter Restland zwischen einer Entlastungsstraße und zwei Großmärkten – so in etwa dürfte der städtische Vermerk über das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Moabit lauten. Darauf, dass von diesem Ort 30.000 Jüdinnen und Juden mit Sonderzügen deportiert wurden, deutet kaum etwas hin. Nur eine Platte verweist auf die geplante Gedenkstätte; seit Kurzem gibt es einen großen Schriftzug der Initiative „Wir waren Nachbarn“ am Zaun. „Von hier fuhren Züge ins Gas“ steht da – das Wort Gas ist durchgestrichen, „stimmt nicht“ hat jemand daneben geschmiert.

74 Jahre nachdem die Züge abfuhren, gibt es nun endlich einen Entwurf für den „Gedenk­ort Güterbahnhof Moabit“. Am Mittwochabend wurden die Ergebnisse einer Ausschreibung der Stadt Berlin in der Topographie des Terrors vorgestellt. Unter den neun auf Einladung eingereichten Entwürfen wurde der Entwurf „Hain“ des Berliner Künstlerkollektivs Raumlabor – ein abgesteckter Kiefernhain mit 24 hohen Bäumen – vom Preisgericht mit dem 1. Preis ausgezeichnet.

Als „deplatziert und seltsam“ beschreibt Florian Stirnemann von Raumlabor den Hain. Die Idee dazu hatten seine Kollegen Francesco Apuzzo und Jan Liesegang. Neben den Bäumen werden die historischen Elemente – die Militärrampe und Teile von Gleis 69 – aufgewertet, und Infotafeln am Weg, an der Quitzow- und an der Ellen-Eppstein-Straße, aufgestellt.

Auf der Zeichnung des Entwurfs sind die Bäume bereits 30 Jahre alt, bis dahin wird einige Zeit vergehen. Der „Hain“ ist ein Denkmal, das wächst. „Wir wollten etwas ganz Leichtes, um das man sich kümmern muss“, erklärt Stirnemann. Das Hegen der Bäume ist so eine direkte Reaktion auf die Vernachlässigung des Ortes. Auf das Wegschauen.

Andreas Nachama, Direktor der Topographie des Terrors, erzählt in seiner Eröffnungsrede, wie er aus Neugierde jenen letzten Weg vom Sammellager in der Synagoge Levetzowstraße zum Güterbahnhof ging. In der Levetzowstraße wurde bereits ein Mahnmal errichtet, auch auf der Putlitzbrücke, die Moabit über den Westhafen mit dem Wedding verbindet, erinnert seit 1987 ein Mahnmal an die Menschen, die vom Güterbahnhof aus deportiert wurden.

Auch 1942 gab es AnwohnerInnen, die die Juden auf ihrem Weg in den Tod beobachtet haben müssen. „Als wären sie durch einen Wald gegangen – aber sie sind nicht durch einen Wald gegangen“, sagt Nachama. Damit beschreibt er den Raumlabor-Entwurf und dessen Spiel mit der andauernden Deplatziertheit des Ortes sehr gut. „Selbst die Architektur dreht der Geschichte den Rücken zu, und so wiederholt sich die Geschichte“, verdeutlicht Stirnemann.

Der Schock über den Zustand des Ortes scheint am Anfang aller Arbeiten zu stehen. Das kann man auch in den Exposés der Entwürfe nachlesen, die noch bis zum 2. September in der Topographie des Terrors zu sehen sein werden. Keiner der neun Entwürfe ist monumental, sie alle sind sehr zurückhaltend. Das mag an der komplexen Ausgangssituation liegen, aber auch daran, dass die Ausschreibung sich ausschließlich an KünstlerInnen richtete.

Der Schock über den Zustand des Ortes scheint am Anfang zu stehen

Die zweitplatzierte Arbeit, „Weg –Ort – Nachbarn“ von Katharina Hohmann, sieht einen durch eine Mauer abgetrennten Bereich vor. Der Schlüssel zum Tor muss geholt werden: beim Verein „Wir waren Nachbarn“ oder in einem der Supermärkte. Andere, wie „Der Hain – nach der Deportation“ von Andrea Zaumseil, legen vor allem Wert auf Kontemplation.

Der Weg zu diesen Entwürfen war weit. Bis vor wenigen Jahren war die Bedeutung des Güterbahnhofs Moabit unbekannt. Zwar gab es erste Initiativen für einen Erinnerungsort schon 1987, und 1998 stand ein erster Entwurf. Aber erst danach bewies ein Gutachten von Alfred Gottwaldt, dass Moabit der größte Deportationsbahnhof der Stadt war – etwa 30.000 von 55.000 aus Berlin deportierten Juden wurden von dort in den Tod geschickt. Seither steht die Finanzierung durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie.

Die Bezirksstadträtin von Mitte, Sabine Weißler, erzählte am Mittwoch, wie sie jüngst durch die Akten ging, um herauszufinden, warum der Gedenk­ort so lange der Stadtplanung nachgeordnet wurde. Zu einer befriedigenden Antwort kam sie zwar nicht. Diese Episode zeigt aber einmal mehr, wie zäh der Weg der wenigen Engagierten zur Gedenkstätte gewesen ist. „Wir altern alle mit diesem Projekt“, sagte Endlich.

Die Entwürfe sind bis zum 2. September in der Topographie des Terrors jeweils von 12.30 bis 20 Uhr zu sehen

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