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Einfach mal pusten

Spezieller Sport Dass ein Trendsport auch mal olympisch werden kann, hat man beim Beachvolleyball gesehen. So weit ist Blasrohrschießen noch nicht – dafür ist die Sportart „voll inklusive“, weiß man beim TSV Spandau

Sport mit Puste: Georg Braun und Michael Pape üben sich im Blasrohrschießen Fotos: Steffi Loos

von Alina Schwermer

„Jetzt kommt wieder die berühmte Geschichte“, sagt der dreizehnjährige Moritz, die Arme auf den abgenutzten Holztisch gestützt, den Blick auf Michael Pape gerichtet. Zwischen ihm und Pape liegen ein Bambusrohr, ein Eisenrohr und Dartpfeile. Im Hintergrund warten reglose, weil unechte Wildschweine, Wölfe und ein imposanter Büffel auf ihren imaginären Tod.

„Erzähl die berühmte Geschichte.“ Michael Pape, Vereinsmanager des TSV Spandau, nickt routiniert. Ganz offensichtlich haben schon mehrere Leute gefragt, wie das Grüppchen von Kindern und Erwachsenen hier im beschaulichen Spandau auf die Idee gekommen ist, mit Blasrohren zu schießen.

„Wir saßen zu Hause und wollten mit der Luftpistole schießen“, so fängt die Geschichte an. Wir, das sind Michael Pape und Mitbegründer Tim Christoph – und Luftpistolenschießen ist für sie deshalb eine Freizeitbeschäftigung, weil sie Hobbyschützen sind. Beim TSV Spandau schießen sie mit dem Bogen, einen Waffenschein für die Armbrust hat Pape auch, und zwischendurch trainiert man eben mal mit der Luftpistole.

Doch an diesem Tag im Keller klappt nicht viel. Da fällt Pape etwas ein: „Ich hatte beim Waffenhändler aus Spaß mal ein Blasrohr mitbestellt.“ Sie packen das Gerät aus und legen es an den Mund. Es ist nicht schwer, lässt sich gut führen. Sie zielen. Pusten einen Pfeil auf fünf Meter. Und: Treffer. „Das geht ja ganz gut“, denkt sich Pape. Sie hängen die Scheibe weiter weg, auf sieben Meter. Wieder treffen sie. Auf zehn Meter. Easy. Donnerwetter, denkt Pape. Was für ein Sport.

Ziemlich big in Japan

In Japan, wo die Waffe der Indios erstmals zum Sportgerät umfunktioniert wurde, betreiben tatsächlich etwa 600.000 Menschen Blasrohrschießen. In Deutschland hingegen, schätzt Michael Pape, leben gerade mal um die 150 Leute ihren Indianertraum mit Pfeil und Blasrohr. „Das ist bei uns noch ein ganz zartes Pflänzchen.“ Man könnte vielleicht auch sagen: ein Trendsport.

Eine sattelfeste Definition für Trendsport gibt es nicht, auch nicht beim Landessportbund Berlin. Pape nennt als Trendsport pragmatisch „alles, was halt kein offiziell anerkannter Sport ist“.

Für Jäger und Punktesammler: Blasrohrschießen

Blasrohrschießen ist auf Basis der Jagdmethode entstanden, die von südamerikanischen Ureinwohnern benutzt wird, und wird als Sport heute vor allem in Japan betrieben. Eine größere Szene gibt es auch in Frankreich, wo etwa 20.000 Menschen regelmäßig mit dem Blasrohr schießen.

Turniere gibt es auch in Deutschland. Die Teilnehmer schießen auf Ziele in 5 bis 15 Metern Entfernung, die in drei Zonen unterteilt sind. Ein Treffer ins Zentrum gibt sieben Punkte. Eine Runde besteht aus fünf Pfeilen, dann werden die Punkte gezählt. Insgesamt werden drei Sätze zu je sechs Runden in maximal 90 Minuten ausgetragen.

Der TSV Spandau bietet neben Blasrohrschießen noch diverse andere Trendsportarten an. Dazu gehören beispielsweise Corn­hole, Pickleball und Slackline. Die Blasrohrschützen trainieren jeden Sonntag morgens um 10 Uhr auf dem Gelände der Bogenschützen. (asc)

Neun Leute haben sich beim TSV Spandau zusammengefunden seit jenem Tag vor ungefähr zwei Jahren, als Pape und Christoph im Keller ihre Begeisterung fürs Blasrohr entdeckten. Überwiegend, gesteht Pape, sind es Leute aus dem eigenen Verein, etwa von den Bogenschützen. Die Szene ist überschaubar. Ein Fluch und der Reiz des Ganzen. Jetzt pusten sie hier jeden Sonntag zusammen selbst angespitzte Pfeile auf selbst ausgedruckte Zielscheiben, sie fahren auf Turniere in ganz Deutschland, bei denen sich der harte Kern deutscher Blasrohrschützen aus 60 bis 80 Leuten trifft, sie basteln ihre eigenen Pfeile aus Schaschlikspießen und Eisenrohre mit Bambusmantel.

Beate Fischer, die Mutter von Moritz, träumt laut von einem Blasrohr mit rosa Blümchenmuster oder Leoparden-Look. Solche Möglichkeiten gibt es nicht im Fußballverein, wo jeder Millimeter Rasen durch Statuten geregelt ist.

„Man macht Trendsport, weil man sich abheben will“, sagt Katja Wirtzmann, Referatsleiterin Breiten- und Freizeitsport beim Landessportbund Berlin (LSB). Dort beobachten sie die Trendsport-Entwicklungen in der Stadt genau. „Wir wollen schauen, welche attraktiven Sportarten wir aufgreifen können“, so Wirtzmann. Denn die Übergänge seien oft fließend: Beachvolleyball etwa begann als Trendsport und ist nun bei Olympia zu sehen.

Berlin, wo rund 2.000 Vereine über 130 Sportarten anbieten und viele junge Leute nach hippen Alternativsportarten suchen, ist ein gutes Pflaster für neue Trends. Aber nicht alles davon wird zum neuen Beachvolleyball. Die Frage, so Wirtzmann, sei vor allem: „Wo geht es hin? In welchen Fachverband könnte man das einordnen?“

Das beschäftigt auch die Blasrohrschützen seit geraumer Zeit. Für Trendsportarten ist die Suche nach einem aufnahmebereiten Fachverband mehr als eine Entscheidung darüber, in welcher Broschüre sie auftauchen. Denn in Berlin gibt es die Sportanlagennutzungsvereinbarung. „Man muss in Fachverbänden organisiert sein, um Hallenzeiten zu bekommen“, sagt Katja Wirtzmann. Für die Blasrohrschützen, die im Winter auf eine Halle angewiesen sind, in der Anfangszeit ein großes Problem: „Wir haben faktisch keine Hallenzeiten bekommen“, so Pape. Nun gebe es in der Szene zwei Bewegungen: Die bayerischen Blasrohrschützen würden über den Schützenbund gehen, die Berliner über den Behindertensportverband.

Zielpunkt: am besten nicht eckig mittig ins Runde

„Für uns ist Blasrohrschießen voll inklusive“, sagt Michael Pape. Weil man im Prinzip nur in der Lage sein muss, einen Pfeil durch ein Rohr zu pusten, können auch Rollstuhlfahrer gleichberechtigt an den Meisterschaften teilnehmen. Der TSV Spandau sucht über den Behindertensportverband außerdem nach neuen Mitgliedern für die Blasrohrtruppe, denn „wir können Mitglieder sehr dringend brauchen.“ Eine Mannschaft in einem Trendsport hochzuziehen, weiß Pape, sei nicht so einfach. „Nur mit Erzählen begeistert man keinen.“ Seither tingelt er über Stadtteilfeste oder Funsportevents und versucht mit einem eigenen Blasrohrstand, vor allem Kinder zu gewinnen. Die hätten durchaus Spaß an der Sache, aber in den Verein kommen sie deshalb noch lange nicht. Mitgliederzuwachs? „Der Prozess ist sehr langsam.“

Etwas ab vom Schuss

Beate Fischer, Mutter des dreizehnjährigen Moritz, glaubt, auch die Lage des Vereinsgeländes sei ein Problem. „Wenn man in Mitte wohnt, fährt man nicht zum Blasrohrschießen raus nach Spandau“, sagt sie. Sie könne das verstehen, sie würde ihren Sohn auch nicht für ein Hobby ans andere Ende der Stadt fahren. Und natürlich bedeutet das große Angebot in Berlin auch große Konkurrenz.

Andererseits: Wer in einer Randsportart trainiert, kann schneller viel erreichen. Moritz hat vor ein paar Wochen in seiner Altersklasse und Blasrohrlänge die Berliner Meisterschaft gewonnen. Darauf angesprochen, schaut er ein bisschen verlegen. „Na ja, es hat in der Kategorie ja auch niemand anders teilgenommen.“ Pape zuckt mit den Achseln: „Na und? Du hast was Tolles geleistet. Sind die anderen doch selbst schuld, wenn sie nicht kommen.“

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