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Zwei, die es wissen wollen

EM Fatih Talay und Edis Vel­j­ko­vic sind Blinden-fußballer. Wenn im August 2017 die besten Mannschaften Europas gegeneinander antreten, hoffen sie, dabei zu sein

Voll in Action: Sogenannte Guides rufen den Spielern Richtungsangaben zu, um ihnen bei der Orientierung zu helfen

Text Jan TölvaFotos Piero Chiussi

Die Sporthalle in Lich­ter­fel­de wirkt nicht wie ein Ort, an dem Na­tio­nal­spie­ler ­trai­nie­ren. Sie kommt ziem­lich al­ters­schwach daher, eine her­un­ter­ge­kom­me­ne Hal­le mit­ten im Nir­gend­wo, der nächs­te Su­per­markt liegt in Bran­den­burg. Drau­ßen, wo die Luft vor Hitze steht, spie­len ein paar Un­er­müd­li­che Fuß­ball auf einem Kunst­ra­sen­platz. Drin­nen aber, in der an­ge­nehm küh­len Halle, wird an der Vor­be­rei­tung auf die Europameisterschaft ge­ar­bei­tet.

Immer wieder schießen zwei junge Män­ner mit einem Fuß­ball auf ein Hand­ball­tor. Sie wir­ken ent­spannt, legen aber eine sol­che Kraft in ihre Schüs­se, dass so­fort klar wird, dass es hier um mehr geht als nur Spaß. Fatih Talay (21) und Edis Veljkovic (20) sind Na­tio­nal­spie­ler; die EM, auf die sie sich vor­be­rei­ten, wird im Sommer 2017 in Ber­lin statt­fin­den. Vom 17. bis 27. August werden die zehn besten Mannschaften Europas gegeneinander antreten.

Für die Ber­li­ner wird das Event eines der High­lights ihrer Kar­rie­re sein. Sie sind hier auf­ge­wach­sen, gingen zusammen auf die Jo­hann-Au­gust-Scheu­ne-Schu­le, eine Schu­le für Blin­de. Denn das, was die bei­den spie­len, ist Blin­den­fuß­ball. Talay und Vel­j­ko­vic ge­hö­ren zum Kader der deut­schen Blin­den­fuß­ball-Na­tio­nal­mann­schaft.

Dass sie blind sind, ist al­ler­dings schwer zu glau­ben, wenn man beobachtet, wie sie mit dem Ball um­ge­hen. Mü­he­los drib­beln Talay und Vel­j­ko­vic mit dem Leder, spie­len sich den Ball mit traum­wand­le­ri­scher Si­cher­heit zu. Nur ein ras­seln­des Ge­räusch ver­rät, dass es um Blin­den­fuß­ball geht: Trainiert wird mit einem spe­zi­el­len Fuß­ball, der ras­selt, damit die Spie­ler ihn hören kön­nen – zu­min­dest so­lan­ge er in Be­we­gung ist. Für alles an­de­re müs­sen sie sich bei den Spie­len auf sogenannte ­Gui­des ver­las­sen, die ihnen Rich­tungs­an­ga­ben zur Orientierung zurufen, und auf den Tor­wart – denn der darf als Ein­zi­ger sehen. In der Sport­hal­le in Lich­ter­fel­de aber trai­nie­ren sie völ­lig ohne As­sis­ten­ten.

Blindenfußball

Die EM:Die kommende Europameisterschaft im Blindenfußball findet 2017 in Berlin und damit erstmals in Deutschland statt. Ausgetragen werden die Spiele der zehn teilnehmenden Mannschaften vom 17. bis zum 27. August auf dem Lilli-Henoch-Sportplatz in Kreuzberg nahe dem Anhalter Bahnhof. Im vergangenen Jahr im englischen Hereford wurde das deutsche Team Fünfter. Titelverteidiger ist die Auswahl aus der Türkei.

Der Verein:Der FC Viktoria 1889 Berlin ging 2013 aus der Fusion des Lichterfelder FC mit dem zweifachen Deutschen Meister BFC Viktoria 1889 hervor. Bei den Sehenden spielen sowohl die Männer als auch die Frauen in der Regionalliga Nordost. Das Blindenfußballteam besteht seit 2008 und ist seitdem – zum Teil in Spielgemeinschaften – fester Bestandteil der Bundesliga. (jt)

Ein paar Kilos zu viel

Sowieso umweht die bei­den Ber­li­ner die Aura läs­si­ger Kä­fig­ki­cker. Talay trägt Tri­kot und Hose von Bo­rus­sia Dort­mund; auf dem Rü­cken steht „Aub­a­meyang“. Es gibt durch­aus schlech­te­re Vor­bil­der für junge Fuß­bal­ler, auch wenn Talay dann doch ein paar Kilogramm mehr auf die Waage bringt als sein Vorbild. „Muskelmasse wäre schon besser, aber ich bin halt faul“, Talay grinst. „Klar weiß ich, was für Po­ten­zi­al ich habe, ich weiß, was ich kann“, sagt er selbst­be­wusst.

Edis Vel­j­ko­vic, fast einen Kopf grö­ßer als sein Teamkollege und um ei­ni­ges schlan­ker, stellt sein Licht eben­falls nicht unter den Schef­fel. „Ich würde gerne bei der EM sel­ber spie­len und den Pokal holen“, sagt er.

Bis dahin ist es noch ein wei­ter Weg, doch haben die bei­den Fuß­bal­ler gute Chan­cen, dabei zu sein. Sie sind klas­si­sche Stra­ßen­ki­cker, haben in ihrer Kind­heit nie im Ver­ein, son­dern immer nur auf dem Bolz­platz ge­spielt. Die lau­ten Sprü­che der Stra­ße, wo das Recht des Stär­ke­ren gilt, klop­fen sie immer noch gern. Talay hat drau­ßen mit Freun­den ge­spielt in Kreuz­berg 36, wo er auf­ge­wach­sen ist, Vel­j­ko­vic in Wed­ding im Käfig und „immer gegen die Grö­ße­ren“, wie er sagt. „Da gab es immer ir­gend­wel­che 17-Jäh­ri­gen, die dich ab­schie­ßen, weil sie den Platz haben woll­ten.“

Mühelos dribbeln Talay und Veljkovic mit dem Leder. Nur ein rasselndes Geräusch verrät, dass es um Blindenfußball geht

Dass sie der­art gut mit dem Ball um­ge­hen können, liegt wohl auch daran, dass sie nicht von Ge­burt an blind waren. Vel­j­ko­vic ver­lor mit 15 oder 16 Jah­ren sein Au­gen­licht, Talay mit 10 Jahren. „Ir­gend­was mit der Netz­haut“, er­zählt er. Aus­führ­lich will er dar­über nicht reden; die bei­den haben sich mit der Si­tua­ti­on ab­ge­fun­den, sie tra­gen es mit der Cool­ness der Kä­fig­ki­cker. „Fakt ist, es ist, wie es ist!“, sagt Talay.

Noch immer Randsportart

Vom Sport leben kön­nen sie al­ler­dings, anders als se­hen­de Na­tio­nal­spie­ler, nicht. Blin­den­fuß­ball ist noch immer eine Rand­sport­art. Ihre Mannschaft, der FC Vik­to­ria Ber­lin, ist das ein­zi­ge Blin­den­fuß­ball­team in Ber­lin. Über­haupt gibt es nur neun Teams im Bun­des­ge­biet.

Trainiert wird mit einem speziellen Fußball, der rasselt, damit die Spieler ihn hören können

Bevor sie ihre neue Heimat beim Lichterfelder FC fanden, bestand das Team von Vel­j­ko­vic und Talay seit 2008 als lose Gruppe von Ak­ti­ven, die zuvor schon ei­ni­ge Zeit mehr oder we­ni­ger or­ga­ni­siert auf der Wiese ge­kickt hatten. Heute trai­nieren sie unter der Flag­ge von Vik­to­ria Ber­lin einmal pro Woche in Lich­ter­fel­de und sind im­mer­hin Sechster der Bun­des­li­ga.

Werbetrommel rühren

„Ich weiß, was ich kann“, sagt Fatih Talay

Weil sie damit kein Geld verdienen, bas­teln die Spie­ler gleich­zei­tig an ihrer be­ruf­li­chen Zu­kunft. Talay macht ge­ra­de sein Abi nach, Vel­j­ko­vic ab­sol­viert eine Aus­bil­dung zum Ver­wal­tungs­fach­an­ge­stell­ten. Mit der Na­tio­nal­elf waren sie zu­letzt Ende Mai aktiv: Vor dem Ber­li­ner Po­kal­fi­na­le traf die A-Na­tio­nal­mann­schaft in einem De­mons­tra­ti­ons­spiel auf die deut­sche U21. Talay holte in der ers­ten Hälf­te sogar einen Straf­stoß her­aus.

Mit dem Spiel soll­te die Wer­be­trom­mel ge­rührt wer­den für den Blin­den­fuß­ball, aber auch für die Eu­ro­pa­meis­ter­schaft. Auch Vel­j­ko­vic und Talay rech­nen sich Chan­cen aus, dort für das deut­sche Team auf­zu­lau­fen. Aber sie wol­len sich nicht zu früh freu­en. „Es kann noch so viel pas­sie­ren bis dahin“, so Vel­j­ko­vic. Jeder im Kader habe es ver­dient, zu spie­len. „Wir sind ja alle nicht um­sonst in der Na­tio­nal­mann­schaft“, sagt er.

Mo­men­tan ist all das oh­ne­hin noch Zu­kunfts­mu­sik. Im Vor­der­grund steht der All­tag in der Bun­des­li­ga. Mitte August wird Viktoria auf Schalke 04 und ­Rekordmeister MTV Stuttgart treffen. Letzterer wird vom Bundestrainer Ulrich Pfisterer betreut. Eine gute Gelegenheit für Veljkovic und Talay also, Werbung in eigener Sache zu machen.

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