Martin Reeh über die IW-Studie zur Mietenentwicklung: Kapitulation vor der Lobby
So einfach macht man in Deutschland Politik: Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat eine sogenannte Studie zum Zusammenhang von Einkommen und Mietenentwicklung veröffentlicht – und fast die gesamten deutschen Medien druckten deren Ergebnisse nach. „Deutsche können sich größere Wohnungen leisten“, hieß die Überschrift dazu in der FAZ, „Mehr Wohnung fürs Geld“ in der Süddeutschen. Das Neue Deutschland brachte das Machwerk auf Seite eins, wenn auch versehen mit einem kritischen Interview mit dem Chef des Mieterbunds.
Die „Studie“ ist ein dreiseitiges Papier, in dem behauptet wird, die Mieten seien seit 2010 in den meisten Regionen weniger stark gestiegen als die Einkommen. Deshalb könnten sich die Deutschen heute mehr Quadratmeter leisten. Selbst in einer Stadt wie Berlin, wo die Mieten schneller gestiegen seien als die Einkommen, bekäme ein Durchschnittshaushalt mit 25 Prozent seines Einkommens 70 Quadratmeter. Das entspricht, vorsichtig gesagt, nicht gerade der Alltagserfahrung in Berlin.
Offenkundig hat sich keine der Redaktionen die Mühe gemacht, beim IW anzurufen und nach dessen Datengrundlagen zu fragen. Die rückt das Institut nämlich nicht heraus. Daher lässt sich nicht nachprüfen, wie Miet- und Einkommenshöhen ermittelt wurden. Das allein müsste Grund genug sein, einen Abdruck abzulehnen.
Nein, die deutsche Presse ist keine Lügenpresse. Ihr Verstand schaltet sich aber regelmäßig aus, wenn irgendwo das Wort „Studie“ steht – und sei es über dem dreiseitigen Pamphlet einer Lobbyorganisation. Dabei hat das IW den Zweck des Papiers deutlich hineingeschrieben: „Die Politik muss daher keine neuen Programme initiieren oder die Wohnungsmärkte stärker regulieren.“ Die Immobilienbranche wird sich über die unkritische Presse freuen. Und Justizminister Maas, der eine verschärfte Mietpreisbremse will, mit den Zähnen knirschen. Herzlichen Glückwunsch, IW.
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