: Rausch und Terror
Taz-Serie Letzter Sommer (3) „Die reden hier von Jugendkultur, während ich mir über die Farbe meines Sarges Gedanken mache“ – Erinnerungen an den am 19. Juli verstorbenen Haschrebellen und Rock-’n’-Roll-Fan Bommi Baumann an einem Späti am Südstern
von Detlef Kuhlbrodt
Irgendwie vergisst man schnell, dass immer noch Sommer ist, aber das ist auch nicht so wichtig. Graue Tage um die zwanzig Grad lassen die Zeit langsamer vergehen. Wenn es erst heiß ist mit Sonne und es danach regnet, ist es eigentlich schöner. Es ist später Nachmittag. Ich gehe Richtung Südstern, in der Hoffnung M. zu treffen. M. ist ein alter Freund, mit dem ich in den 90ern viele Jahre Tür an Tür gewohnt hatte.
Damals war er arbeitslos und hatte kiffend in seiner Wohnung die Weltlage analysiert. In seiner Studentenzeit Mitte der 70er in Hessen – er hatte mit Frank-Walter Steinmeier studiert – war er politisch aktiv gewesen. Das heißt, man hatte aus dem Fenster des AStA-Hauses Volksreden gehalten und viel weggeraucht und getrunken. Später war er kurz bei den Grünen und dann wegen Alkohol lange krankgeschrieben. Deshalb ging das so halbwegs mit dem Arbeitslosengeld und dem Kiffen.
Ich hatte Techno toll gefunden und er hatte Musik als dümmste aller Künste verachtet. Ich hatte wiederum Politik bescheuert gefunden, und so hatten wir immer Spaß.
Als Schüler, bei den Bundesjugendspielen war es ihm immer darum gegangen, Letzter zu werden, aus Protest gegen die Leistungsgesellschaft. Beim Flippern oder Tischtennis war er aber ehrgeizig und hatte außerdem das Ziel, der beste Liebhaber in Berlin zu werden.
Wir hatten uns dauernd gestritten, und nachdem die zehn Jahre um waren, in denen er vom Arzt verordnet nicht mehr hatte trinken dürfen, hatte die Trinkerei wieder angefangen.
Als Ex-Bester bekam er dann Diabetes und klobige Diabetiker-Schuhe und musste manchmal ins Krankenhaus. Wir verabreden uns nie, die Erfindung des Handy ist an ihm vorbei gegangen. Manchmal treffen wir uns am Späti.
Auch heute sitzt er da am Südstern mit seinen Kumpels, teils Rentner, teils Baugewerbe. Wir sagen, so und so. Ich erzähle, Bommi Baumann ist gestorben.
Einer fragt, wer ist Bommi Baumann, und ich erkläre: Bommi Baumann ist eine Legende. In den 60er Jahren war er auf dem Bau und hatte immer rebelliert und mit den anderen Gammlern bei der Gedächtniskirche billigen Wein getrunken und die Leute hatten die jungen Gammler faschistisch beschimpft. Und dann war er im Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen und dann Terrorist. 1975 hatte er sich aber mit seiner Autobiografie „Wie alles anfing“ vom Terrorismus losgesagt und die Genossen aufgefordert, den bewaffneten Kampf einzustellen. Er war lange auf der Flucht und zum Opiumrauchen in fernen Ländern.
In Westdeutschland war er für viele ein Idol. Sein Poster hing in vielen Büros der Studentenvertretungen. Er sah aus wie ein Rockstar und dann wurde er in England gefasst und saß fünf Jahre im Gefängnis, weil durch eine Bombe, an der er mitgebaut hatte, 1972 ein Mensch umgekommen war. Von 1967 bis 1993 war er opiatabhängig und dann Kneipenwirt und auch noch Alkoholiker.
Ende der 90er hatten wir uns kennengelernt und an einem Buch über Terror und Drogen gearbeitet, aus dem leider nichts wurde, vielleicht auch, weil er nach seinem Entzug gegen Drogen sein musste, während ich noch in der Techno-Euphorie der 90er eher für Drogen war. Mit einem Kollegen machte er das Buch „Rausch und Terror“ dann fertig.
Im Juni 2011 gab er bei einem Prozess an, seinen Drogenkonsum 2008 wieder aufgenommen zu haben: „Wegen meiner geringen Lebenserwartung habe ich mir gesagt, jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an. Irgend’n Hobby hat schließlich jeder.“
… zum letzten Mal im Leben. Manches wird nächsten Sommer nicht mehr das sein, was es diesen noch ist. Es wird abgebaut, abgerissen, umgestaltet, neu belegt, gestorben oder schlicht weggegangen. Klar, genau weiß man das nie in dieser Stadt, in der Interim zum Dauerzustand werden kann und Menschen nur gehen, um doch wiederzukommen. Sicherheitshalber aber statten wir einen letzten Sommerbesuch ab. Mit Wehmut oder mit Erleichterung.
Sie kennen auch so einen Ort, der wohl seinen letzten Sommer erlebt? Schreiben Sie uns: letztersommer@taz.de
M. hatte Bommi auch kennengelernt, in der Zeit, als er manchmal bei mir vorbeikam. Er ist getroffen von der Todesnachricht und erzählt von Bommi-Besuchen, die ich schon vergessen hatte. Ich denke an seine Sammlung von After-Shaves, die er sich aus England schicken ließ, und wie ich mich damals eher beim Karneval der Verpeilten unter meinesgleichen gefühlt hatte. Wir finden, dass es keinen gibt, der so gut, interessant, kenntnisreich und lustig über Drogen und die Post-68er erzählen konnte. Oder seine Sprüche: Wer das oder das macht, „kann ja gleich CDU wählen“. Das verwende ich immer noch bei allen Gelegenheiten.
Weil wir am gleichen Tag Geburtstag haben, hatten wir einmal zusammen Geburtstag gefeiert und er hatte mir eine Zigarettenspitze geschenkt, die immer irgendwo auf meinem Schreibtisch liegt.
Anfang der 90er hatte er in dem Film „Rollo Aller 2“ mitgemacht. Da hatte ihn Reverend Christian Dabeler kennengelernt. In dem Buch „Fotzenfenderschweine“ von Almut Klotz sagt Dabeler: „Ich hatte ihm gesagt, er wäre früher mein Idol gewesen, so als Haschrebell. Weißt du, was der mir geantwortet hat? ‚Ach vergiss es. Ich hab mich immer in frühere Zeiten gewünscht. Ich wäre viel lieber 1954 dabei gewesen, als sie beim Bill-Haley-Konzert den Sportpalast zertrümmerten, als in den Scheiß-60er-Jahren mit diesen SDS-Typen.‘“
„Die reden hier von Jugendkultur, während ich mir über die Farbe meines Sarges Gedanken mache“, hatte er über seine Generationsgenossen um Rainer Langhans gesagt, die 1998 einen „Ready-to-Ruck-Kongress“ veranstaltet hatten, um an das zwanzigjährige Jubiläum von 1968 zu erinnern und damit die Fahne der Aufrechten sozusagen weiterzureichen.
Wir sitzen immer noch vor dem Späti. Det, ein schachspielender Rentner, hat ein Handy dabei und kleine Lautsprecher, aus denen AC/DC, David Bowie und T. Rex tönt. M. kann nicht mehr allein aufstehen und wir müssen ihm helfen. Er sagte, das ist das Ergebnis von 40 Jahren Rauschgiftmissbrauch. Ich antworte, nein, wärst du beim Hasch geblieben, wäre alles super. Er sagt, er trinke vor allem wegen der Schmerzen. Ich frage, kommst du auch zur Beerdigung. Er antwortet, nein, bis dahin komm ich doch gar nicht mehr.
Am 19. Juli ist Bommi Baumann, Jahrgang 1947, gestorben. Am Freitag, 19. August, findet um 13 Uhr die Urnenbeisetzung auf dem Friedhof zwischen der Landsberger Allee und der Friedenstraße statt
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