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Wer soll das noch verstehen?

Bürokratie Die Ausländerbehörde ist für viele Schutzsuchende ein angstbesetzter Ort. Auch weil hier vieles schief läuft

Lara Schneider,Begleitet Flüchtlinge bei Behördengängen

von Katharina Schipkowski

Es ist stickig im Vorhof zur Hölle.Die Menschen, die hier warten, müssen ihr Schicksal in die Hände eines Apparates legen, der darauf ausgerichtet ist, sie abzuschieben: die Hamburger Ausländerbehörde. Durch die geöffneten Fenster dringen Lärm und Abgase der LKW, die über die Amsinckstraße Richtung Autobahn donnern. Dieser Ort ist für viele Menschen im Asylverfahren die unangenehmste Station im Behördendschungel. Weil sie die unberechenbarste ist, weil sie die Abschiebebehörde ist, und weil sie viele Fehler macht.

Es ist neun Uhr morgens und es ist sogar noch ziemlich leer – im Vergleich zu anderen Tagen. Das sagt zumindest Alireza Hosseini. Er arbeitet ehrenamtlich im Café Exil, einer unabhängigen Einrichtung direkt gegenüber. Dort helfen sie Geflüchteten, begleiten sie beim Behördengang. Hosseini hat das schon tausend Mal gemacht. „Weil es wichtig ist“, sagt er. Weil viele Geflüchtete kein Deutsch sprechen und das Asylsystem nicht verstehen, das nicht mal MuttersprachlerInnen verstehen.

Etwa 180 Menschen stehen in dem schlauchförmigen Raum in einer Schlange oder sitzen auf Holzstühlen, die wie im Wartebereich eines Bahnhofs angeordnet sind. Männer, Frauen und Kinder aus Syrien, aus Afghanistan, dem Iran, aus Ägypten und anderen Ländern warten darauf, dass sie an die Reihe kommen. Leer ist eigentlich nur der Wasserspender. MitarbeiterInnen einer Security-Firma lassen die Menschen nicht aus den Augen.

Im Papierdschungel

„An dem Tresen da vorne gibt man seine Papiere ab und bekommt eine Nummer“, erklärt Alireza Hosseini. Hinten im Raum sichten BeamtInnen Dokumente und reden mit den Geflüchteten. „Wenn die Nummer aufgerufen wird, geht man wieder zum Tresen“, sagt er. „Da kriegt man eine neue Nummer und der Sachbearbeiter schickt einen zu irgendeinem anderen Sachbearbeiter.“ Zum Beispiel in den zweiten Stock, wo man wieder wartet.

Dort sitzen dreißig Menschen und gucken auf die Bildschirme, wo ab und zu eine Nummer aufblinkt. Zwei Security-MitarbeiterInnen sitzen da und lesen die Bild-Zeitung. Neben ihnen steht ein überdimensionaler Bildschirm, der ein Aquarium zeigt: künstliche Fische in künstlicher Unterwasser-Umgebung. An den Wänden hängen Bilder, auf denen Delfine in Sonnenuntergänge springen und Babys in Blumentöpfen sitzen.

Man muss wachsam sein, die Nummern laufen nicht chronologisch. Gerade blinkt C 015. Fünf Minuten später H 663. Dann passiert zehn Minuten lang nichts. Dann H 128. Dann länger nichts. Dann B 217, C 023.

Kamil und Said Sarakbi* warten seit drei Stunden, drei verschiedene Stockwerke und SachbearbeiterInnen haben sie schon hinter sich. Was die jeweils gemacht haben, wissen die beiden minderjährigen Brüder aus Syrien nicht. Auch ihre Begleitung, eine Sozialarbeiterin, hat keine Ahnung.

Familiennachzug? Theoretisch ja

„Das erklärt einem auch keiner“, sagt sie. Zwar können Kamil und Said Sarakbi Deutsch, aber es sei schon besser, eine Muttersprachlerin dabei zu haben, sagt sie. Denn die Behörde macht viele Fehler: Vor Kurzem haben sie Saids Pass verloren. Die Polizei hatte ihm den Pass weggenommen und an die Ausländerbehörde geschickt – wo er angeblich nie ankam. Auch Kamils Pass wurde zur Behörde geschickt, und der kam an – war allerdings angeblich abgelaufen. Beides könne nicht sein, sagen die Jungen.

Doch die BeamtInnen stellten sich stur –bis die Sozialarbeiterin mitkam und insistierte. „Jetzt ist alles wieder gut“, sagt sie. Saids Pass war da, die Mitarbeiter hatten nur nicht richtig geguckt. Kamils Pass war nicht abgelaufen, das Datum war im Computersystem falsch gespeichert, die MitarbeiterInnen hatten die falsche Seite des Ausweises kopiert und in das Original nicht mehr reingeguckt.

Wenn Said und Kamil heute an der Reihe sind, wollen sie eine Grenzübertrittserlaubnis beantragen. Die brauchen sie, um Deutschland auf legalem Weg zu verlassen. Denn ebenso wenig, wie man aus Syrien nach Deutschland einreisen darf, darf man von hier dorthin ausreisen – obgleich man gar nicht hier sein dürfte. Wer soll das verstehen?

Said und Kamil Sarakbi wollen zurück. „Bei unseren Eltern ist es besser“, sagen sie. Können die nicht herkommen? „Nein“, Said schüttelt den Kopf. Ist das nicht Familiennachzug? Müsste doch gehen. Said schüttelt wieder den Kopf: „Geht aber nicht.“

Dann blinkt ihre Nummer auf und die beiden Syrer und ihre Begleiterin verschwinden in einem Flur.

Fatale Verwechselung

Gegenüber, im Café Exil, sitzen Geflüchtete mit freiwilligen MitarbeiterInnen und einer Anwältin zusammen, lassen sich beraten, stellen Fragen, beraten sich gegenseitig. An den Wänden hängen Flyer mit hilfreichen Adressen, vom Medibüro, von der Law Clinic, von Gratis-Sprachkursen. Auf einem Gemälde, Acryl auf Bettlaken, reißt ein Kran mit einer Abrissbirne die Ausländerbehörde ein.

„Es macht einen riesigen Unterschied, ob wir die Leute in die Behörde begleiten oder nicht“, sagt Lara Schneider*, die früher ehrenamtlich dort gearbeitet hat. „Die werden gleich ganz anders behandelt, wenn eine weiße Person dabei ist.“ Mehrfach habe sie von Geflüchteten gehört, dass die BehördenmitarbeiterInnen sie gedrängt hätten, Papiere zu unterschreiben, von denen sie gar nicht wussten, was draufsteht. „Die lassen dich deine freiwillige Ausreise unterschreiben, ohne zu sagen, was das bedeutet!“ Klar gebe es auch ein paar DolmetscherInnen im Behördendienst. Aber denen könne man nicht trauen. „Ich habe schon mitbekommen, wie Dolmetscher mit der Abschiebung gedroht haben“, sagt Schneider. Und: „Deine Rechte werden einfach nicht gewahrt.“

Alireza Hosseini berichtet davon, dass vor Kurzem eine Frau weinend im Café Exil zusammengebrochen ist. Statt einer Aufenthaltsgestattung hatte die Behörde ihr einen Abschiebebescheid ausgestellt. Den Café-Exil-MitarbeiterInnen kam das komisch vor: eine Abschiebung nach Syrien? Unwahrscheinlich. Zumal der Ehemann und ihre Kinder in Deutschland bleiben dürfen. Im letzten Moment stellte sich heraus, dass die SachbearbeiterInnen eigentlich eine andere Frau mit dem gleichen Nachnamen abschieben wollten. Sie hatte sie einfach verwechselt.

* Name geändert

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