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Köln vor dem Ausnahmezustand

Demo 15.000 Menschen wollen Sonntag für die Demokratie demonstrieren – und für Erdoğan

Hat auch in Köln seine Fans: Erdoğan Foto: Oliver Berg/dpa

BERLIN taz | Köln könnte am Sonntag einer Großkampfzone gleichen. Das befürchten jedenfalls Vertreter der Polizei, die 2.000 Einsatzkräfte zusammenziehen, damit am Rhein nichts eskaliert. Unter dem Motto „Ja zur Demokratie. Nein zum Staatsstreich“ ruft die Union of European Turkish Democrats (UETD) an der Deutzer Werft zur Demonstration auf. 15.000 Teilnehmer sind ab 10 Uhr angekündigt.

Mehrheitlich Erdoğan-An­hän­ger dürften sich da einfinden. Der türkische Präsident ist bei den meisten seiner in Deutschland lebenden Landsleute beliebt, seine AKP erhielt hier bei den Wahlen 2015 knapp 60 Prozent.

Es gibt daher viele Stimmen, die hinter dem Pro-Demokratie-Aufruf am Sonntag ein machtpolitisches Kalkül vermuten. Grünen-Politiker Volker Beck schreibt in einer Pressemitteilung: „Ohne Distanzierung von Erdoğans willkürlichen Repressalien wird die Demonstration am Sonntag als Demonstration für eine Diktatur Erdoğans in der Türkei verstanden werden.“ Ebenso deutlich äußert sich der Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Cahit Basar. „Dass nun Tausende von Menschen für eine Diktatur auf die Straße gehen, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar.“

Viele Nachwuchsverbände aus der deutschen Parteienlandschaft teilen diese Auffassung. Sie stufen die UETD als Lobbyverband Erdoğans ein. Und so kommt es am Sonntag zu einem Gegendemobündnis, das in seiner Zusammensetzung so eher selten auftritt: Die Linksjugend läuft mit den Jungliberalen auf, auch die Grüne Jugend und die Jusos sind Teil des Bündnisses „ErdoWahn stoppen – Für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei“. Die Ini­tia­to­ren rechnen mit 1.500 Gegendemonstranten, Redner aller Jugendgruppen wollen sich äußern. Weitere 500 Menschen hat die Vereinigung „Köln gegen Rechts“ angekündigt, die „gegen Nationalismus und Rassismus in BRD und in der Türkei“ auf die Straße geht.

Die Kurden bleiben der Gegendemo hingegen fern. Man wolle die Erdoğan-Anhänger nicht aufwerten, heißt es in einer Mitteilung. Zudem befürchte man gewalttätige Auseinandersetzungen. Seit dem vereitelten Militärputsch in der Türkei hat sich die Lage für Opposi­tio­nel­le und Erdoğan-Kritiker in Deutschland zugespitzt.

Dass die UETD-­Kundgebung missbraucht werden könnte, um gegen AKP-Gegner zu hetzen, befürchtet auch NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Er warnt die Veranstalter und Teilnehmer der Demonstration eindringlich: „Sollte diese Kundgebung für Gewaltaufrufe missbraucht werden, wird die NRW-Polizei rigoros einschreiten.“ Ob auf Deutsch oder Türkisch vom Rednerpult her gezündelt werden sollte, sei übrigens egal. Die Polizei hat Dolmetscher engagiert.

Und auch sie haben sich angekündigt: 350 Anhänger der weit rechten Gruppe „Pro NRW“ wollen an diesem Tag ihren Fremdenhass stillen – natürlich unter dem Banner der Demokratie. David Joram

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