Kriminologe über Hausdurchsuchung: „Eine unverantwortliche Aktion“

Am Montag stürmte die Polizei ein Hausprojekt auf St. Pauli und nahm mutmaßliche Kleindealer auf der Straße fest. Wem nützt das?

Polizisten vor einem Haus in der Hafenstraße

Auf der Suche nach Drogen: Hausdurchsuchung in der Hafenstraße. Foto: JOTO

taz: Herr Scheerer, während am vergangenen Montag schwer bewaffnete PolizistInnen ein Wohnprojekt in der Hafenstraße auf St. Pauli stürmten, durchsuchten weitere BeamtInnen den Hinterhof und fanden 91 Gramm Marihuana und fünf Kügelchen Kokain. Ein Schlag gegen die Drogenkriminalität?

Sebastian Scheerer: Ein Schlag ins Wasser, würde ich sagen. Eine bizarre und unverantwortliche Aktion. Auf die 30 Personen umgerechnet, die festgenommen wurden, sind das ja Einzelmengen, die gar nicht verfolgt werden dürften. Es ist auf der Grenze zu einem Nicht-Delikt, was da verfolgt wurde. Und absolut überzogen. Das schreit nach Erklärungsversuchen, wie man auf solche Ideen kommen kann.

Ob die Anordnung ursprünglich von der Polizei oder der Innenbehörde kommt, dazu wollen sich beide nicht äußern. Halten Sie es für möglich, dass Machtspiele zwischen Polizei und Innenbehörde eine Rolle spielen?

Ja, das kann auf jeden Fall sein. Aber das sind jetzt Spekulationen. Dass bestimmte Funktionsträger in den oberen Etagen der Polizei irgendwas zeigen oder den Senat provozieren wollen, das ist gut möglich. Mir tun aber die Leute leid, denen man damit einen Schreck verpasst und eventuell Traumata verursacht. Wenn man da mit ’nem Schneidbrenner ankommt und so … das macht ja das Seelenleben der Leute kaputt. Dass auf so etwas nicht geachtet wird, finde ich skandalös.

65, war Professor und Leiter des Instituts für Kriminologische Sozialforschung an der Uni Hamburg. Jetzt reist er gern durch die Welt.

Wem nützt ein solcher Einsatz und was bringt er?

Die Vorstellung ist ja offenbar, dass die Dealer oder die Drogenszene auf St. Pauli immer größer geworden ist, und man denen einen Schreck einjagen wollte. Ob das mit solchen martialischen Polizeiaktionen zu machen ist, würde ich bezweifeln.

Warum?

Weil die Motivation bei den Akteuren sehr hoch ist.

Sie meinen die mutmaßlichen Dealer? Die waren am gleichen Abend wieder da.

Klar. Erstens haben die Verkäufer keine anderen Möglichkeiten, weil sie keine anderen Einkommensquellen haben. Außerdem wissen sie, dass ihre Substanzen zu Freizeitzwecken konsumiert werden, und wenig oder gar keinen Schaden anrichten. Jedenfalls nicht so viel wie die legalen Drogen. Und drittens haben auch die Konsumenten eine hohe Motivation, weil sie wissen, dass sie nichts Böses tun und niemandem Schaden zufügen.

Bei der Polizei ist die Motivation, in die Hafenstraße zu gehen, offenbar auch hoch. Was glauben Sie, worum es da geht?

Das sind vielleicht Versuche von Ewiggestrigen in der Polizei oder beim Senat, da nochmal auf die Pauke zu hauen, bevor die Möglichkeiten der Bestrafung und der Repression in dem Sektor eingeschränkt werden. Das weiß ja jedes Kind, dass das Strafgesetz in dieser Hinsicht reif für die Abschaffung ist.

Was meinen Sie?

Das weiß ja sogar der Gesundheitsausschuss der CDU und andere Leute, denen man das vorher nicht zugetraut hatte, dass die Prohibition nicht nur schädlich und blödsinnig ist, sondern auch verfassungswidrig. Da wird ja in Grundrechte eingegriffen, wenn man Leuten bei Strafe verbietet, gewisse Substanzen zu rauchen, während sie andere rauchen dürfen. Man stemmt sich da gegen den Zeitgeist und gegen das Wissen fast aller Menschen, und glaubt, eine überzogene Strafandrohung aus einem veralteten Gesetz durchsetzen zu müssen.

Dann geht wohl nur um die Außenwirkung. Eine Show – aber für wen?

Vielleicht sind das Konzessionen an das, was man glaubt, was sich AfD-Wähler erhoffen.

Selbst AfD-WählerInnen dürfte doch klar sein, dass solche Aktionen nichts bringen …

Es gibt sicher Polizeibeamte oder Politiker in den höheren Führungsetagen, die glauben, dass man die Jugend vor großem Schaden bewahren kann, wenn man solche Aktionen macht. Aber ich weiß nicht, wie man so etwas noch glauben kann, wenn man ein informierter Zeitgenosse ist. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Leute denken, wir müssen etwas für das Image der Stadt tun. Aber es gibt eben eine völlig berechtigte Nachfrage nach den Substanzen, die da verkauft werden, und deshalb auch einen kontinuierlichen Nachschub.

Ist das Racial Profiling, wenn in der Hafenstraße immer Schwarze kontrolliert werden?

Es sieht schon übel aus, wenn man die Schlangen vor den Polizeiwagen sieht, und alle, die da festgenommen werden, sind schwarz. Das ist Rassismus zweiter Ordnung, würde ich sagen.

Was meinen Sie damit?

Es ist kein Racial Profiling in dem Sinne, dass es ausschließlich rassistische Vorurteile der Polizei sind. Aber Rassismus spielt eine Rolle in dem Zusammenhang.

Welche?

Es ist ja so, dass diese illegalen Märkte weitgehend von Marginalisierten betrieben werden. Das ist aus gutem Grund so, denn die, die dort arbeiten, haben ein hohes Risiko. Neuankömmlinge in unserer Gesellschaft haben aber wenig andere Einkommensmöglichkeiten. Also ist das für sie häufig die einzige Möglichkeit, um allmählich eine Eintrittskarte in die Gesellschaft zu lösen. Allerdings mit diesem ganzen Risiko. Es ist ein systemischer Rassismus, dass man Marginalisierten diese Hochrisikojobs überlässt. Und ein automatischer Rassismus, wenn dann die Polizei sagt, jetzt wollen wir mal die Dealer überprüfen – da können wir ja nichts dafür, dass die alle schwarz sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.