: Die Frau, die ihre Gegner fliegen lässt
taz-Serie Olympiareif (Teil 3) Die Judoka Laura Vargas Koch ist ständig unterwegs: bei Wettkämpfen in Havanna oder Taschkent, im Trainingslager, in ihrem Wohnort Köln oder ihrer Heimat Berlin. Bald fliegt sie nach Rio – wo sie als Medaillenanwärterin gilt
von Alina Schwermer
Die Judomatte ist gelb, dünn und hart, und ich lande sehr schnell darauf. Laura Vargas Koch hatte vorher noch kurz erklärt, was sie machen wird, diesen Griff, jenen Wurf – „keine Angst, ich werfe nicht richtig“ – , aber verhindern lässt es sich nicht. Die Berlinerin Vargas Koch ist immerhin Judo-Vizeweltmeisterin 2013, mehrfache deutsche Meisterin und eine deutsche Medaillenkandidatin für Rio – wer bei ihr auf der Matte landet, ist also in guter Gesellschaft.
Es ist heiß und ein bisschen muffig in der Neuköllner Halle, wo sie einst als Jugendliche trainierte, und Laura Vargas Koch in ihrem dicken Judoanzug rinnt der Schweiß von der Stirn, aber das Werfen hat sie offenbar in Laune gebracht. Ein paar Griffe will sie noch zeigen. „Ich mag es, wenn der Gegner richtig hoch fliegt“, sagt sie und lacht. Sie ist eine einnehmende Person, ein kleines Energiebündel mit einer fast kindlichen Begeisterung für den Sport, was man unter Top-Athleten nicht allzu oft antrifft. „Judo ist für mich der beste Sport der Welt“, sagt Koch. Im August wird sie zum ersten Mal als Athletin bei Olympia dabei sein; verstecken will sie sich nicht: „Ich traue mir zu, eine Medaille zu holen.“
Laura Vargas Koch kommt gerade vom Flughafen, sie war im Trainingslager in Spanien, dann ein paar Tage in ihrer WG in Köln, und wenn sie die Turnhalle verlässt, wird sie zu ihrer Mutter hier in Berlin fahren, um Klamotten zu waschen. Aber zwischendurch noch ein bisschen Judo, warum nicht? Gleich um die Ecke, in Kreuzberg, ist sie groß geworden und mit sieben Jahren das erste Mal zum Judo gegangen – eigentlich viel zu spät für eine richtige Karriere. Noch mit 13 Jahren habe sie „vielleicht einmal im Monat“ trainiert, und auch nur dann, wenn ihre beste Freundin Lust hatte.
Judo: Zum ersten Mal war die Kampfsportart im Jahr 1964 olympisch, seit 1972 ist sie immer bei den Olympischen Spielen zu sehen. Die deutschen Judoka haben in Rio in 13 von 14 Gewichtsklassen einen Startplatz.
Maskottchen: Nimmt Laura Vargas Koch „ganz viele“ mit: „einen kleinen Bären von meiner Mama, eine Ente von meinem Trainer, die er selbst schon bei Wettkämpfen dabeihatte, und eine große Deutschlandfahne vom ganzen Verein“.
Freizeit: Vargas Koch will in Rio „auf jeden Fall feiern“. Und im Meer baden.
Im TV: Die Entscheidungsrunden im Judo laufen vom 6. bis zum 12. August. Laura Vargas Koch ist sicher qualifiziert. (asc)
Runterkommen mit Musik
Bis sie den Verein wechselte, Judotrainer Carsten von Leupoldt kennenlernte und Feuer fing. Seitdem widmet sich Vargas Koch dem Judo mit der Energie und Begeisterung, mit der sie sich in alles kniet, was sie fasziniert. In Bilderbuch-Manier ging es bergauf: erste Medaille 2006 bei einem U17-Turnier, die erste deutsche Meisterschaft 2010, Vizeweltmeisterin 2013, jetzt die erste Olympiateilnahme. Pushen müsse sie sich dafür nicht, sagt Koch, und man glaubt es ihr. Auch am Temperament muss sie nicht arbeiten, schwer fällt ihr eher die Ruhe. Vor den Wettkämpfen sei sie immer sehr aufgeregt, sagt sie: „Ich höre dann Musik, um runterzukommen.“
Einen großen Vorteil immerhin wird sie haben, wenn es in Rio um den Medaillentraum geht: Sie kennt die Konkurrenz in- und auswendig. „Wir trainieren viel in internationalen Trainingslagern zusammen“, so Koch, „wir kennen uns alle, und es hat auch nicht jeder tausend Griffe.“ Umgekehrt gilt allerdings das gleiche. Dass Laura Vargas Koch viel mit den Beinen arbeitet und hohe Würfe liebt, kann sie auch deshalb so unbefangen ausplaudern, weil es für die anderen kein Geheimnis ist.
Vargas Koch über die Konkurrenz
Eigentlich mag sie die freundschaftliche Nähe aber: Eine belgische Judoka sei gerade in Deutschland bei ihr zu Besuch gewesen, anschließend habe sie in der Kölner WG gepennt. Dass sie im nächsten Wettkampf als Gegnerinnen aufeinandertreffen könnten? Laura Vargas Koch überlegt. „Eigentlich ist das okay. Nach dem Wettkampf gratuliert man dem anderen, damit ist die Sache erledigt.“ Ganz so einfach ist es aber offenbar doch nicht immer. Gegen ihre gute Freundin, die Koreanerin Kim Seongyeon, würde sie nicht so gerne bei Olympia kämpfen. Sie könnten aber ohnehin – das hat sie schon ausgerechnet – erst im Finale aufeinandertreffen. Vargas Koch lacht. „Das wäre ja schon wieder cool.“
Weil es für Judoka an der Weltspitze viel sinnvoller ist, sich mit der internationalen Konkurrenz zu messen, als zu Hause vor sich hin zu trainieren, ist die Berlinerin viel unterwegs: Insgesamt 25 Wochen im Jahr, schätzt sie. Von Kuba bis Kasachstan, vom chinesischen Qingdao bis ins usbekische Taschkent war sie schon bei Wettkämpfen. Meist mit ein paar Extratagen Aufenthalt vor Ort. Koch plaudert gern über ihre Reisen: In Havanna fuhr sie auf dem Longboard durch die Stadt, in Japan ging sie viel essen, in Brasilien war sie mit anderen Judoka feiern.
Die Tour de France läuft noch bis 24. Juli – sonst ist nicht viel los. Alle warten auf das nächste sportive Großereignis in diesem Sommer: Vom 5. bis 21. August finden in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele statt. Viele Athletinnen und Athleten bereiten sich bereits seit Jahren intensiv auf diesen sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere vor. (taz)
Auch aus privaten Gründen zieht es sie in die Ferne: Sie ist Halbchilenin und hat in dem südamerikanischen Land noch viele Verwandte. 1975 floh ihr Vater vor Pinochet nach Deutschland, nachdem ihr Großvater, ein Intendant beim Fernsehen, bedroht worden war. Zuletzt war sie 2013 in Chile, zu den Olympischen Spielen wird vielleicht ihr chilenischer Onkel kommen. Die Muttersprache der Verwandten spricht Laura Vargas Koch aber bis heute nicht. „Mein Vater ist damals nicht damit klargekommen, zwei Sprachen sprechen zu müssen. Er wollte nicht, dass ich Spanisch lerne.“
Nicht zuletzt ist Laura Vargas Koch aus beruflichen Gründenviel unterwegs: Sie promoviert nebenbei in Mathe. „Das ist eigentlich wie Judo: Man ist überall in der Welt, trifft Leute aus anderen Ländern und hat ein bisschen Wettbewerb.“ Allzu angestrengt davon wirkt sie nicht. Man hatte ihr gesagt, neben der Sportlerkarriere klappe das auf keinen Fall, aber Vargas Koch probierte es einfach. Die Promotion sei super spannend, sogar wissenschaftliche Konferenzen in Krakau lässt sie irgendwie nach Spaß klingen. Später will sie gern in die praktische Mathematik – selbstfahrende Autos und so. Aber erst mal ist Olympia an der Reihe.
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