Susanne Messmer staunt, wie sehr der Kalte Krieg noch immer präsent ist in dieser Stadt: Hundert sprechende Objekte im AlliiertenMuseum
Auf einem weißen Sockel liegt ein kleiner, unscheinbarer Brief. Man tritt ein wenig näher heran und wundert sich, warum er von fünf roten Stempeln geziert ist. Der Brief stammt von einem Philatelisten namens Dedo Burhop aus dem westdeutschen Örtchen Stollhamm. Er hatte ganz bewusst seinen Brief aus dem Jahr 1969 nach Leningrad mit einer Briefmarke aus der Serie „Das neue Berlin“ freigemacht. Die Marke zeigt das damals noch junge Europa-Center. Er wusste, dass er diesen Brief zurückbekommen würde – mitsamt den schönen roten Stempeln. Das Auslandspostamt in Moskau verweigerte die Bearbeitung des Briefs. Als Begründung wurde ein Paragraf des Weltpostvertrags angegeben. Dieser untersagte die Einführung von „Gegenständen, die im Bestimmungsland verboten sind“. Für die Sowjetunion war schon der Name des Europa-Centers eine Provokation. Wie konnte eine „selbstständige politische Einheit“ wie Westberlin sich anmaßen, den europäischen Gedanken zu propagieren?
Es sind kleine, auf den ersten Blick unscheinbare Gegenstände wie dieser Brief, die das AlliiertenMuseum in Dahlem für eine Ausstellung mit dem Titel „100 Objekte. Berlin im Kalten Krieg“ zusammengetragen hat: Objekte, die sonst im Ensemble in der Vitrine untergehen, die aber viel erzählen, wenn man sie auf einen Sockel ins Rampenlicht stellt. Die Ausstellungsmacher haben zu einem einfachen, schlauen Trick gegriffen: Sie haben die Objekte ohne jede Erklärung inszeniert. Die Geschichten dazu bekommt man nur in einem Buch zur Ausstellung.
Die Stoßrichtung ist klar: Der Kalte Krieg ist in dieser symbolträchtigen Stadt mehr und mehr im Verschwinden begriffen, immer weniger Menschen erinnern sich. Umso wichtiger ist es, ihn fassbar zu machen. Ob Brief, Telefon oder ein Stück Plane voller Graffiti von der Abhöranlage der U.S. Armee auf dem Teufelsberg: Je bescheidener die Objekte, die im AlliiertenMuseum ab heute zu sehen sind, umso größer die Geschichten, die sie erzählen. Es ist, als würde man den Philatelisten kichern hören, als er seinen Brief, zurück aus Moskau, zufrieden ins Album steckte. Foto: AlliiertenMuseum
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