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Täuschung und Temperament

Ausstellung „El Siglo de Oro“ in der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum präsentiert spanische Künstler des 17. Jahrhunderts: Meisterwerke mit Blockbuster-Qualitäten

VON Christiane Meixner

Blut tropft aus jeder Körperöffnung, im Kopf eines Mannes steckt ein Nagel, und nebenan liegen die bärtigen Häupter von Paulus, Jakobus und Johannes. Menschliche Grausamkeit im Detail vorzuführen, ist keine Erfindung der digitalen Ära. Sie war ein Privileg sakraler Malerei durch alle Jahrhunderte, in denen Kirche und Staat die Hoheit über das Bild besaßen.

Dass einen die alte Erkenntnis in der jüngsten Ausstellung der Berliner Gemäldegalerie durchfährt, hat mit der Unmittelbarkeit jener Bilder zu tun. „El Sig­lo de Oro“, das Goldene Zeitalter der spanischen Kunst, mag fünf Jahrhunderte zurückliegen. Dennoch berühren die Sujets, bei aller historischen Distanz und Ferne ihrer Themen. Kreuzesabnahmen, Pietàs, Auferstehungen: Das wirkt so lebensnah, als würde es eben jetzt geschehen. 130 Meisterwerke internationaler Provenienz bringt die Schau in der Hauptstadt zusammen, darunter einiges aus dem Bestand der Staatlichen Berliner Museen. Zu sehen sind Leinwände von Velázquez, El Greco, Murillo oder Zubarán. Künstler mit Blockbuster-Qualitäten, die allein schon ein volles Haus versprechen. Doch darüber hinaus will „El Siglo de Oro“ komplexes Wissen vermitteln: über ein barockes Zeitalter, diverse stilistische Schulen und nicht zuletzt ein Paradox. In einer Ära, in der Spanien als stärkste europäische Macht zerfällt, in der der Dreißigjährige Krieg, Hungersnöte und Epidemien wüten, erlebt die Kunst ihre Blüte.

In höfischem Auftrag

Menschliche ­Grausamkeit im Detail vorzuführen, ist keine Erfindung der digitalen Ära. Sie war ein Privileg sakraler Malerei durch alle Jahr­hunderte, in denen Kirche und Staat die Hoheit über das Bild besaßen

Täuschung und Temperament als Ausdruck unbedingter Fähigkeit zur Empathie – beides wird gleichermaßen wichtig. Für König Karl II., der das Land bis 1700 regiert, als Herrscher ohne Erben aber auch am Ende der spanischen Habsburger Dynastie steht, erfüllt die Malerei noch einmal die Aufgabe, Macht und Stabilität zu suggerieren. Ein großes Theater in höfischem Auftrag. Gleichzeitig führt Karls Konzentration aller Macht auf die ehemalige Residenzstadt Madrid zum Niedergang anderer spanischer Regionen. Seine Regentschaft steht im Zenit. Die Vorgänger Philipp III. und Philipp IV. hatten die Kunst zwar ebenfalls instrumentalisiert, sorgten gleichzeitig aber für ihre Entfaltung. Vor allem Phillip IV. bewies mit der Ernennung des gerade 24-jährigen Velázques zu seinem Kammermaler 1624 ein untrügliches Gespür für dessen Talent. Und obwohl mit „Las Meninas“ (1656) und anderen königlichen Kinderbildern seine bekanntesten Exponate fehlen, offenbaren die ausgestellten Porträts eines Hofnarren oder einer unbekannten Dame, wie fein der Maler die widerstrebenden Kräfte zusammenhält. Velàzquez ist ein Meister darin, das höfische Zeremoniell mit der realen Lebendigkeit der Porträtierten zu verbinden.

Immer wirkt es, als hätte der Künstler sie gebeten, ihre Tätigkeiten kurz anzuhalten und ihm Modell zu stehen. Den aufgebahrten Leichnam eines populären Geistlichen versieht Velázquez – wenn er der Autor ist, noch trägt die Zuschreibung des Bildes ein Fragezeichen – mit einem großen Hämatom an der Stirn. Zeichen des Kampfs mit dem Bösen, das den Toten seltsam unheilig aussehen lässt. Ein Makel als Strategie. Nahezu alle Maler, die in „El Siglo de Oro“ das Sterben, Verzückung, Versuchung und Martyrien vorführen, bedienen sich solcher Mittel. Sie sollen die Empfindungskraft anregen und bilden den größten Kontrast zur Kunst im übrigen Europa. Wohin man in der Ausstellung schaut, immer blicken Individuen zurück. Ihre Kleidung, die Stillleben und Landschaften in den Gemälden mögen noch so idealisiert sein. Im Ausdruck unterscheiden sich die Figuren erheblich von der sakralen Norm. Das führt, vor allem bei den meist lebensgroßen, farbig gefassten Skulpturen zu merkwürdigen Begegnungen.

Tiefe Fleischwunden

Wer etwa den hölzernen „heiligen Ignatius von Loyola“ passiert, den Juan Martínez Montañés 1610 in Sevilla schuf und mit einer maßgeschneiderten Soutane beklebte, glaubt sich einen Moment lang dem lebendig gewordenen Ordensgründer gegenüber. Haut und Hände, der asketische Ausdruck und nicht zuletzt die Stofflichkeit des Gewandes machen den Jesuiten zu einer Erscheinung. Ein Effekt, den andere Künstler wie Gregorio Fernández gnadenlos steigerten. Sein toter Christus von 1627 ruht auf einem hölzernen Bett in der Gemäldegalerie und lässt sich staunend umrunden. Die tiefen Fleischwunden, die fließenden Locken auf einem fein gemusterten Kissen oder die Falten im Laken hätten das Können des Bildhauers schon für sich bezeugt. Dass Fernández dazu Glasaugen verwendet und Elfenbein für täuschend echte Zähne, lässt den Eindruck kippen. An die Stelle von Ergriffenheit rückt Budenzauber, der tote Christus mutiert zur Freakshow. Fernández war in Valladolid tätig. Auch das lernt man in der Ausstellung: Spanien verfügte damals über diverse kulturelle Zentren, die sich trotz aller Konzentration auf den Königshof differenziert entwickelten. Was Velázquez für Madrid war, dessen künstlerische Sprache eine Generation von Malern beeinflusste, bedeutete Francisco Ribalta mit seiner Werkstatt in Valencia oder El Greco in Toledo.

Dessen Werk entfaltet magisches Potenzial, wenn sich für die monumentale „Unbefleckte Empfängnis“ (1608 bis 1613) der Himmel einen Moment für Maria öffnet. Die extreme Untersicht des Gemäldes, seine überirdische Farbigkeit und die für El Greco typische Streckung der Figuren machen die biblische Geschichte zum dramatischen Erlebnis. Parallel werden die Instrumente des Malers erklärt, wird seine Wirken geschichtlich eingebettet und analysiert. Ein Auftakt, wie er kaum zu überbieten ist. Und doch erreicht diese visuell wie inhaltlich grandiose Schau, Ergebnis einer vierjährigen Vorbereitung, immer wieder ihr Einstiegsniveau.

„El Siglo de Oro“: Gemälde­galerie, Kulturforum am Matthäikirchplatz, Berlin. Bis 30. Oktober

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