: „Wir sind nicht unabhängig. Wir sind isoliert“
Brexit Britische Medien bewegen sich in diesen Tagen zwischen Entsetzen und Euphorie. Ein Blick auf die Schlagzeilen
Daily Mirror
Die Entscheidung für den Brexit ist von Teilen der britischen Presse mit triumphalen Schlagzeilen gefeiert worden. Die Zeitungen, die für den Verbleib in der EU geworben hatten, machten dagegen mit düsteren Zukunftswarnungen auf.
Die Times titelte: „Die EU wird nie mehr sein, wie sie war.“ Und der Daily Mirror fragte entsetzt: „Was haben wir nur getan? Beschämte Briten distanzieren sich von der Albtraum-Entscheidung, die EU zu verlassen.“ Der Daily Telegraph kommentierte das Ergebnis mit einem Cartoon. Darin sagt ein Nachrichtensprecher: „Guten Abend. Außerirdische sind nicht auf der Erde gelandet und Elvis ist nicht lebendig geworden, aber alles andere ist passiert.“
Gary Younge schrieb im Guardian: „Wir sind nicht unabhängig. Wir sind isoliert.“ Fintan O’Toole kommentierte in der Irish Times: „England hatte weder die Zeit, noch hat es sich die Mühe gemacht, einen integrativen, staatsbürgerlichen, progressiven Nationalismus zu entwickeln. Es bleibt ein Nationalismus, der selten in positiven Begriffen geäußert wird, sondern die dunklen Energien der Ablehnung und Ausländerfeindlichkeit anzapft.“
Die Financial Times erklärte nüchtern, wie man es von ihr gewohnt ist, dass Großbritannien „lässig in eine neue Welt voller Risiken gewandert“ sei. Die Zeitung forderte die Führer des Brexit-Lagers auf, wesentlich mehr Verantwortungsbewusstsein und Ehrlichkeit als während ihrer Kampagne zu zeigen. Andernfalls bestehe die akute Gefahr, dass Großbritannien außer Kontrolle gerate.
Bei den Brexit-Anhängern herrschte zunächst eitel Freude. Der Daily Express wertete die Entscheidung als „heroischen Moment des Widerstands, der den glorreichen Episoden unserer Geschichte in nichts nachsteht“. Und die Daily Mail huldigte den „vergessenen Menschen“, die sich erhoben und ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen haben.
Die Sun drückte ihre Genugtuung zunächst mit einem Wortspiele aus: „See EU later.“ Doch schon zwei Tage später wurde das Blatt etwas nachdenklicher. „Da Großbritannien nun entschieden hat, die EU zu verlassen, segeln wir ins Ungewisse.“ Es werde jede Menge Veränderungen geben. Am ärgsten für die Sun-Leserschaft: „Urlauber dürfen nur noch einen Liter Schnaps, sechs Flaschen Wein, 16 Liter Bier und 200 Zigaretten mit nach Hause nehmen.“
Der Independent, den es nur noch online gibt, hat einen Leserbrief an den Guardian aufgegriffen. Ein Leser namens Teebs schrieb, dass der eigentliche Verlierer Londons Exbürgermeister Boris Johnson, die führende Figur im Brexit-Lager, sei: „Mit einem Schlag hat Premierminister David Cameron das Referendum-Ergebnis praktisch annulliert und die Karrieren von Boris Johnson, Michael Gove und anderen Brexit-Befürwortern zerstört.“
Sein genialer Schachzug war, die Verantwortung für den Rückzug aus der EU seinem Nachfolger zu überlassen, meinte Teebs: Sollte Johnson die Nachfolge von Cameron antreten und dann das Austrittsverfahren nicht auslösen, sei er erledigt. Bewirbt er sich nicht um den Posten des Tory-Chefs, sei er auch erledigt. Tritt er an, gewinnt und zieht Großbritannien aus der EU, sei alles vorbei: „Schottland verabschiedet sich, in Nordirland brechen Unruhen aus, Rezession, gebrochene Handelsabkommen.“ Dann sei er ebenfalls erledigt. „Die Menschen hoffen verzweifelt, dass diese Theorie über Cameron und Brexit wahr ist“, schrieb der Independent.
Ralf Sotscheck, London
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