Fair-Trade-Expertin über Lage in Brasilien: „Es ist alles weg“
Die Umbrüche schaden der solidarischen Ökonomie im Land, sagt Ana Asti. Ein Interview über die Zukunft des fairen Handels.
taz: Frau Asti, Sie haben die Geschäftsführung bei Sedes inne, dem Sekretariat zur Entwicklung einer solidarischen Ökonomie in Rio de Janeiro. Es gab dort eine kleine Krise …
Ana Asti: Eine kleine? Eine riesige!
Nachdem die neue Regierung an die Macht kam, soll das gesamte Personal gefeuert worden sein. Was war da los?
Nachdem Dilma Rousseff suspendiert wurde, verkündete mein Chef, dass er das Rathaus aus Protest verlassen werde. Seitdem entlässt der Bürgermeister alle Angestellten: Wir waren mal 30 Leute, jetzt sind wir zu zehnt. Letzten Donnerstag strich er unser Budget in Höhe von 8 Millionen Euro, welches wir zur Förderung der solidarischen Ökonomie und des fairen Handels in Rio einsetzen. Es ist alles weg. Wir haben viele wichtige Leute verloren, die für uns arbeiteten.
Was könnte das für die Bewegung der solidarischen Ökonomie bedeuten?
Wir könnten einen Rückgang erleben, dorthin, wo wir vor zehn Jahren waren. Wir können viel verlieren, weil unser Sekretariat viele politische Strategien erarbeitete und wir uns nicht sicher sind, ob die neue Regierung damit weitermachen wird.
Ein konkretes Beispiel?
Die Höhe der Investitionen wird vermutlich abnehmen. Letztes Jahr wuchs der lokale Kunsthandwerkmarkt in Rio auf 500.000 Euro, der der fair gehandelten und biologischen Produkte auf 2,5 Millionen Euro. Diese Märkte existieren aufgrund von lokalen Verordnungen, welche vom Bürgermeister persönlich erlassen und auch wieder aufgehoben werden können. Es sind also keine Gesetze, die vom Kongress verabschiedet werden müssen. Wir fürchten jetzt, dass diese Verordnungen wieder aufgehoben werden könnten und damit die lokalen Märkte zukünftig keine Chance mehr haben.
Die sechsunddreißigjährige Betriebswirtin und Sozialwissenschaftlerin Ana Asti war bis 2015 Welt-Vize-Präsidentin der World Fair Trade Organisation. Derzeit arbeitet sie als Geschäftsführerin von SEDES, dem Sekretariat zur Entwicklung einer solidarischen Ökonomie in Rio de Janeiro.
Könnte das Ende von Sedes denn auch das Ende der solidarischen Ökonomie in Rio sein?
Was Größe und Stärke angeht, ja. Aber nicht in dem Sinne, dass die lokalen Bewegungen und die lokalen solidarisch-ökonomischen Netzwerke aufhören zu existieren. Sie werden auf jeden Fall innerhalb der Zivilgesellschaft weiterkämpfen.
Gibt es denn auch Positives aus Rio zu berichten?
Ich glaube, wir sind in Bezug auf den fairen Handel reifer geworden, in Rio de Janeiro auch in Bezug auf Fairtrade-Towns.
Plant Rio de Janeiro, eine Fairtrade Town zu werden?
Ja! Normalerweise gibt es fünf Kriterien für eine Fairtrade Town. Beispielsweise muss eine örtliche Steuerungsgruppe gegründet und Orte geschaffen werden, an denen Fairtrade-Produkte verkauft werden. Das sind, bezogen auf Rio, etwa 200. Wir wollen zwei weitere Kriterien entwickeln, die die Realität vor Ort berücksichtigen und die solidarische Ökonomie miteinbeziehen. Daher entwickelten wir die Förderung der lokalen Produktion und das Ziel, die Favelas stärker mit der Stadt zusammenzubringen. Das sind Dinge, die Teil unserer Identität sind.
Wie kann man das von Deutschland aus fördern? Müssen Gesetze und Regulierungen uns zwingen, fair gehandelte Produkte zu kaufen?
Nichts, das einem aufgezwungen wird, ist etwas Positives. Aber ich denke, dass man an den öffentlichen Ordnungen schrauben sollte, damit faire Produkte den Vorzug erhalten.
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