: „Ich fühle mich total verarscht“
Türöffner Jan Stubben ebnete der Polizistin Astrid O. unwissentlich den Weg in Hamburgs linke Szene, spricht sich aber dennoch gegen Abschottung aus
Ich kann mich noch genau daran erinnern, als Astrid Ende 2006 hier im Café Flop auftauchte. Jogginghose, Sweatshirt, Turnschuhe und Baseball-Cap – nicht einmal besonders szenetypisch. Ich war damals 23, war Student und machte oft Tresenschichten im Café Flop. Das ist ein offenes Café im selbst verwalteten, aber staatlich geförderten Jugendzentrum „Unser Haus“ im östlichen Hamburger Stadtteil Bergdorf.
Astrid und ich sind über Musik und die HipHop-Band „Freundeskreis“ ins Gespräch gekommen, sie bot an, mir das Album auf CD zu brennen. Sie erzählte mir – was wohl auch stimmte –, dass sie gerade aus Sardinien zurückgekommen sei und Kontakt suche.
Es gab im Jugendzentrum damals eine sehr aktive junge Antifa-Gruppe, die sich regelmäßig im Café Flop getroffen hat. Das Café war für viele Jugendliche sowas wie ein erweitertes Wohnzimmer. Die Jugend-Antifa-Gruppe hat damals eine sehr gute Arbeit gemacht und die haben sehr viel Energie in die politische Bildung gesteckt, Veranstaltungen und Diskussionen organisiert, zu denen alle möglichen Menschen aus ganz Hamburg nach Bergedorf kamen. Die Gruppe war jung und gut vernetzt.
Astrid wollte da gern aktiv mitmachen und weil ich sie quasi empfohlen habe, wurde sie auch aufgenommen. Das war ja ohnehin eine offene Antifa-Gruppe, die waren froh, wenn Leute dazu gekommen sind, die sich in Bergedorf gegen Nazis einsetzten. Und Astrid war nett, freundlich und zugewandt und hatte ein gutes Verhältnis zu den Jugendlichen. Es machte nichts, dass sie älter war. Sie gab sich als 21 aus, war in Wahrheit aber schon 24.
Bald ließ Astrid sich Dreadlocks machen und bekam einen Schlüssel für das Jugendzentrum. Das haben unsere Strukturen so zugelassen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die Polizei eine verdeckte Ermittlerin in ein staatlich finanziertes Jugendzentrum einschleusen würde, die Kontakt zu einem Umfeld mit sehr vielen Minderjährigen sucht.
2007 ging die Antifa-Gruppe dann wegen Differenzen in die Brüche und Astrid zog wegen einer freundschaftlichen Verbindung zu einem Mädchen aus der Gruppe nach Hamburg-Altona. Sie ist hier nur noch ab und zu bei Veranstaltungen und einer Demo aufgetaucht.
33, Lehrer, war von 2000 an im Jugendzentrum Unser Haus in Hamburg-Bergedorf aktiv. Er lernte Astrid O. im offenen Café Flop kennen, in dem sich das Antifa-Café traf.
Es war schon ein mega-mieses Gefühl, als ich vor ungefähr sechs Wochen von der Recherchegruppe aus dem Umfeld des autonomen Zentrums Rote Flora erfahren habe, wer Astrid wirklich war und dass sie das Jugendzentrum als Türöffner für ihre Undercover-Tätigkeit in der linken Szene benutzt hat. Ich fühle ich mich total verarscht.
Wenn der Staatsschutz schon ein Jugendzentrum bespitzeln lässt, frage ich mich, wie viele Ermittler wohl erst in der Schanze hocken. Wir sollten aber trotzdem keine Spitzel-Paranoia haben: Wenn wir offen und anschlussfähig bleiben wollen angesichts einer Gesellschaft, die immer weiter nach rechts abdriftet, ist Abschottung der falsche Weg.
Protokoll: Kai von Appen
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