piwik no script img

Karrada, ein buntes Ausgehviertel

Irak II Der jüngste Anschlag traf das kulturelle Herz Bagdads mit seinen Geschäften, Cafés und Eisdielen

ISTANBUL taz | Es gibt nicht viele Orte, an denen sich Iraks Hauptstädter nachts vergnügen können. Außer Karrada gibt es genau genommen sogar nur einen anderen Ort, das mehrheitlich sunnitische Mansur mit seinen Villen und Botschaften.

Aber Karrada ist anders. Der Stadtteil im Zentrum von Bagdad ist das kulturelle Herz und Ausgehzentrum der Stadt. Die Straße, in der sich in der Nacht auf Sonntag ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte, ist zwar nicht so schön wie die Istiklal in Istanbul. Aber auch hier reihen sich Geschäfte, Cafés und Eisdielen aneinander. An der Straße kann man ablesen, ob es gerade auf- oder abwärts geht im Land.

Wer an die Zukunft glaubt, investiert zuerst in Karrada, so wie der Besitzer des Hadi-Geschäftshauses, in dem viele der Opfer in der Flammenhölle starben.

Gerade in den Sommernächten, wenn es in Bagdad schier unerträglich heiß ist, kommen die Bürger aus der ganzen Stadt nach Karrada, um zu bummeln, einzukaufen oder in einem der Restaurants zu speisen. Es ist auch der Stadtteil, in dem sich junge Leute tätowieren lassen oder sich bei einer Wasserpfeife mit einer heimlichen Liebe treffen können. Wenn nicht gerade Ramadan oder ein hoher islamischer Feiertag ist, bieten Läden ganz offen Alkohol an. In den dunklen Gassen abseits der Einkaufsstraße blüht die Prostitution.

Der Platz vor dem Palestine-Hotel, wo US-Marines im April 2003 die riesige Statue des ehemaligen Despoten Saddam Hussein vom Sockel stürzten, ist nicht weit. Gleich nebenan liegt der Alwiya-Club, der älteste Club von Bagdad. Um Mitglied in dem von Briten gegründeten Club zu werden, muss man ein kleines Vermögen von mehreren Tausend Dollar Jahresbeitrag auf den Tisch blättern.

Am Südende der Halbinsel, auf der Karrada liegt, hat sich nach 2003 eine neue Elite die Nobelvillen unter den Nagel gerissen, in denen einst Saddams Verwandtschaft und hochrangiges Gefolge wohnte.

Ein reicher Geschäftsmann eröffnete hier ein schickes Restaurant, ein anderer kürzlich einen vornehmen Club, in dem man die besten Musiker des Irak hören kann. Wem dafür das Geld fehlt, der kommt in die Straße, in der der Anschlag stattfand. Und weil Ramadan ist, wo viele nach dem Fastenbrechen bummeln gehen, war sie in der Nacht auf Sonntag so voll.

Aber Karrada ist nicht nur das Vergnügungsviertel der Stadt. Es spiegelt auch das multi­ethnische und multireligiöse Gesicht der Stadt. Zwar bilden die Schiiten nach den Vertreibungen im letzten Jahrzehnt heute die Mehrheit. Aber noch immer leben hier Christen und Sunniten – nirgendwo im Land gibt es so viele Kirchen auf einem Fleck wie in Karrada. Auch darauf zielten die Fanatiker mit ihrem Anschlag. Inga Rogg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen