: „Man kann träumen, aber nicht planen“
INTEGRATION An der Hamburg Digital Media School werden Flüchtlinge ganz praktisch auf den Einsatz im Berufsfeld Digitale Medien vorbereitet. Trotz der sprachlichen Hürden hoffen sie auf Jobs in der Medienbranche – und manche hatten sogar schon Angebote
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von André Zuschlag
Zarah Sadat steht in der Mitte des Studios von „NDR aktuell“. Beide Hände stützt sie auf die Tischfläche für die ModeratorInnen. Sie steht aufrecht und schaut ernst in die Kamera. Dann lächelt sie. „Natürlich würde ich hier später gerne vor der Kamera stehen“, sagt sie. Im Monitor neben der Kamera betrachtet sie sich vor dem blauen Hintergrund. Sie macht noch schnell ein Foto von sich auf dem Bildschirm, ehe die Gruppe in das nächste Studio zieht. Dort dekorieren zwei Leute gerade einen alten Range Rover für einen Auftritt von Schlagersängerin Michelle in der Vorabendsendung „Das!“.
Ein Jobangebot, aber noch keine Arbeitserlaubnis
Sadat und zwölf weitere Geflüchtete besuchen gerade die Fernsehgebäude des NDR. Es ist eine Exkursion, denn sie belegen das Programm „Digitale Medien für Flüchtlinge“ an der Hamburg Media School. Als Weiterbildung gedacht, soll Menschen auf der Flucht die Möglichkeit gegeben werden, ihren Beruf auch in Deutschland künftig auszuüben. Manche von ihnen sind JournalistInnen, andere FilmemacherInnen, FotografInnen oder AutorInnen. Üblicherweise finden die Seminare über Medienrecht, Drehbücherschreiben oder über Medienmärkte in den Räumen der Hochschule in Hamburgs Norden statt. Alle paar Wochen organisiert Koordinatorin Tina Fritsche einen Besuch bei verschiedenen Medienunternehmen. Im nächsten Monat geht es zum Verlag Gruner und Jahr.
Am Morgen, als sich der Kurs vor den Eingangstoren des NDR trifft, erinnert Fritsche die Kursteilnehmer an ihre Visitenkarten. „Das ist eine Super-Gelegenheit zum Networking“, sagt sie. Denn der Kurs geht nur bis zum Herbst. Einen Job im Medienbereich zu finden, ist bekanntlich nicht leicht. Zarah Sadat hingegen hatte schon vor Kursbeginn ein Jobangebot in einer Film-Produktionsfirma. „Aber ich warte immer noch auf einen Verhandlungstermin für meinen Asylantrag“, sagt sie. 2014 ist sie aus Afghanistan geflohen. Bis zur Verhandlung darf sie keine Anstellung annehmen, so will es das deutsche Asylgesetz.
Nach dem Rundgang durch die NDR-Studios geht es über eine verglaste Brücke in das Gebäude der ARD-Nachrichtenredaktion. Dort wird auch die Tagesschau aufgezeichnet. „23 Millionen?“, fragt Aamer Najjar. Ja, so viel kostete der Umbau des Studios vor zwei Jahren, antwortet ihm Jörn Behrens vom NDR. Die zwei schwenkbaren Kamera-Arme betrachtet Najjar mit professioneller Neugier. Der Syrer arbeitete als Regieassistent und Regisseur für TV-Serien und Spielfilme. Nun geht es erst mal zum Mittagessen in die NDR-Kantine.
Zarah Sadat war in Afghanistan hauptberuflich in Botschaften angestellt. Nebenbei hat sie als Journalistin gearbeitet und die Internetseite der „Afghan Human Rights News“ aufgebaut. Darüber hinaus, sagt sie, „liefen noch ein paar verbotene Projekte“. Für Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, hatte sie Tangotanzkurse in den Räumen einer Botschaft organisiert. „Für manche war das ein wichtiger Ausgleich für die erlittenen psychischen Schäden“, sagt Sadat. Als sie nach Deutschland kam, hatte sie einen Sprachkurs anfangs nicht belegen können. „Ich durfte ja nicht arbeiten und die Kurse sind sehr teuer.“ Stattdessen ging sie in die Bibliothek und las Bücher. „So habe ich angefangen, Deutsch zu lernen“, sagt sie.
Gehalt in der Ausbildung? Da staunen manche Teilnehmer
Nach dem Mittagessen geht es noch in die Ausbildungsabteilung. Alle PraktikantInnen sind gemeinsam dabei, eine Sendung zu drehen. Beim Gespräch mit dem NDR-Ausbildungsleiter schauen manche aus dem Kurs überrascht, als sie erfahren, dass man bei einer Ausbildung Lohn bekommt. Fünf von ihnen werden den NDR ab Oktober noch besser kennenlernen. Dann beginnt ein dreimonatiges Praktikum. Für Sadat ist das nicht weiter wichtig. Sie will in der Zeit beim Spiegel das Praktikum machen. Wenn am 1. Oktober das dreimonatige Praktikum beginnt, startet schon der nächste Kurs. Dafür können sich Geflüchtete, die in ihren Herkunftsländern im Medienbereich gearbeitet oder studiert haben, bewerben. „Wir fordern kein Zertifikat, aber halbwegs gute Deutschkenntnisse sind unerlässlich“, sagt Fritsche.
Am Nachmittag steht der Kurs wieder vor den Eingangstoren des NDR. Heute haben sie früh Feierabend. Der Kurs geht üblicherweise von 10 Uhr bis 20 Uhr. Was Sadat später machen möchte? „Ich weiß, was ich machen will, aber ich komme aus einem Land, in dem zwei Mal Krieg herrschte. Da kann man träumen, aber nicht planen“, sagt sie und lächelt wieder. Aber natürlich würde sie am liebsten im Fernsehen arbeiten und über Menschenrechtspolitik berichten. Ein konkretes Ziel für die nächste Zeit habe sie aber doch: „Den ersten Artikel auf Deutsch schreiben.“
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