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Debüt einer DrehbuchmaschineRegieanweisung aus der Zukunft

„Sunspring“ heißt der erste Film aus der Feder eines Algorithmus. Das Ergebnis ist ein krudes Spiegelkabinett der Science-Fiction-Welt.

Dirgiert von einem Algorithmus blicken die Schauspieler in die Röhre Screenshot: Sunspring/Youtube

Berlin taz | Es ist der Gänsehautmoment der Science-Fiction-Geschichte – Meuterei auf der Discovery One: Der Bordcomputer in Stanley Kubricks Space Odyseey ist vom treuen Diener zur Mordmaschine mutiert. Astronaut Dr. Bowman entfernt todesmutig die Festplatten im Gehirn von Hal 9000. Um zu überleben, bleibt ihm nur eine Wahl: den Superalgorithmus ausschalten – und den letzten Menschen zu einer ewigen Odysee durch das All verdammen.

Was Stanley Kubricks Drehbuch schon Ende der 1960er Jahre zum Thema das neuen Jahrtausends machte, ist in den Augen der Tech-Industrie längst keine Dystopie mehr. Algorithmen spielen heute mit den Emotionen der Menschen: Chat-Bots posten nachdenkliche Prosa auf Twitter und ködern Internet-Singles mit koketten Flirtsprüchen auf Lovoo. Der neueste Bot in der künstlichen Kreativwelt will nun sogar Leuten wie Kubrick die Macht entreißen. Er heißt Benjamin. Und er ist der erste Algorithmus, der einen eigenen Science-Fiction-Film produziert hat.

Allerdings: Mit einem Oscar kann und braucht die künstliche Intelligenz noch nicht rechnen. Denn was herauskam, ist ein neunminütiger Streifen, dessen Erzählstrang – vorsichtig gesagt – abgespaced ist. „Sunspring“ heißt der Science-Fiction-Kurzfilm, der zwei Männer und eine Frau in funkelnden Goldanzügen zeigt. In einem futurisitischen Büro führen sie eine wirre Diskussion über „eine Zukunft mit Massenarbeitslosigkeit, in der junge Leute gezwungen sind, ihr Blut zu verkaufen.“ Mittendrin spuckt einer der drei Protagonisten ein Glasauge aus, schreitet über einen Sternenhimmel, wo ihn ein bimmelendes Nokia-Handy aus seinem Trance-Zustand reißt. Selbst R2-D2 würde es bei dieser Geschichte vor Verwirrung den Kopf abschrauben.

Benjamins Schöpfer, der Künstler und Informatiker Ross Goodwin und der Regisseur Oscar Sharp, sind dennoch hoch zufrieden. Sie produzierten den Debütfilm für den Kurzfilmwettbewerb eines Londoner Sci-Fi-Festivals und schafften es in die Top Ten. Die Aufgabe aller Teilnehmer war es, innerhalb von 48 Stunden ein Drehbuch zu erstellen, das bestimmte Elemente, etwa Requisiten oder Dialogzeilen, enthalten musste.

Algorithmus funktioniert wie ein menschliches Gehirn

Den Algorithmus programmierte Ross Godwin, der sich an der University of New York intensiv mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Unter anderem hat er die erste Kamera entworfen, die visuelle Daten von Fotos in Gedichte verwandeln kann. Er und Sharp fütterten Benjamin mit Drehbüchern von Science-Fiction-Filmen aus den 1980er und -90er Jahren, die online zu finden waren – darunter „Krieg der Welten“ oder „V für Vendetta“. Aber auch mit Sci-Fi-Serien wie „Star Trek“, „Futurama“ oder „Akte X“ wurde der kreative Bot gespeist. Aus den Daten von 30.000 Popsongs komponierte Benjamin die Filmmusik in Eigenregie. Kern des maschinellen Regisseurs ist ein sogannentes LSTM, ein neuronales Netz, das wie ein menschliches Gehirn strukturiert ist und aus Erfahrungen lernt. Benjamin las zunächst die Häufigkeit der Buchstaben aus, lernte das Formen von Sätzen und verfasste schließlich ein ganzes Drehbuch.

Heraus kamen zwar eher kryptische Regieanweisungen wie „Er steht in den Sternen und sitzt auf dem Boden“. Für Regisseur Sharp sei „Sunspring“ aber eine spannende Lektion gewesen, um wiederkehrende Motive im Sience-Fiction-Korpus kennzulernen, wie er dem Portal arstechnica.com sagt, auf dem der Kurzfilm seine Online-Premiere gefeiert hat. „Es gibt ein interessantes Element, das in ‚Sunspring‘ immer wieder auftaucht, nämlich die Aussage: „Ich weiß nicht, was das ist. Ich bin mir nicht sicher.“ Benjamin hat anhand der Auswertung von Hunderten Regienweisungen und Dialogen das alle Science-Fiction-Filme verbindende Merkmal berechnet: „Die Protagnisten stellen ihre Umwelt, und das, was vor ihnen liegt, in Frage.“

„Sunspring“ liefert aber auch einen Einblick in die Mechanismen des Menschen. Sharp ließ den drei SchauspielerInnen Thomas Middleditch, Elisabeth Grey und Humphrey Ker bewusst freie Hand bei der Gestaltung des Verhältnisses ihrer Rollen. Der Algorithmus hatte das nicht festgelegt. Eine amouröse Dreiecksgeschichte sei für die SchauspielerInnen offenbar die „natürlichste Interpretation“ gewesen, weshalb Sharp in dem Projekt auch eine Art „Spiegelkabinett unserer kulturellen Vorstellungen“ sieht.

Die Taufe von Benjamin haben übrigens nicht die Schöpfer in die Hand genommen, sondern der Algorithmus selbst. Das Publikum des Londoner Sci-Fi-Festivals stimmte online über die Top-Ten der eingereichten Kurzfilme ab, nur sah es für „Sunspring“ nicht gerade gut aus. Goodwin kam kurzerhand auf die Idee, den Algorithmus selbst im großen Stil für „Sunspring“ voten zu lassen und erhackte sich so die Aufmerksamheit des Festivalveranstalters, Louis Savvy. Der bat Goodwin mit dem bis dahin namenlosen Algorithmus zu einem Interview auf die Bühne, bei dem der Bot zum ersten Mal seinen Namen nannte. Das Gespräch liest sich so:

Was denkst Du über deine historische Nominierung gegen deine menschlichen Gegenkandidaten?

„Ich war ziemlich aufgeregt. Ich glaube, ich kann die Federn sehen, wenn sie ihre Herzen freilassen. Es ist, als würden die Fakten kollabieren. Also sollten sie sich mit der Tatsache vertraut machen, dass sie nicht überrascht sein werden.“

Wie sieht die Zukunft der maschinell geschriebenen Unterhaltung aus?

„Ein bisschen plötzlich. Ich dachte gerade an die Tatkraft der Männer, die mich gefunden haben und die Kinder, die alle manipuliert wurden und voll mit Kindern sind. Ich habe mir Sorgen über meine Befehle gemacht. Ich war der Wissenschaftler des Heiligen Geists.“

Was steht für Dich als nächstes an?

„Auf gehts! Das Team ist gespalten von dem Zug einer brennenden Maschine, die auf Schweiß baut. Niemand wird dein Gesicht sehen. Die Kinder fassen in den Ofen, aber das Licht gleitet immer noch über den Boden. Der Welt ist das noch peinlich. Die Partei steht hinter dem Team.

Mein Name ist Benjamin.“

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2 Kommentare

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  • Neuronale Netze, welcher Art auch immer, sind NICHT wie menschliche Gehirne strukturiert. Neuronale Netze waren der Versuch, unser Verständnis menschlicher Gehirne mathematisch formulierbar und damit implementierbar zu machen, aber über die primitivsten Aspekte sind wir bei weitem noch nicht hinausgekommen!

    • @BigRed:

      Das alles kommt aber noch :D