piwik no script img

Brutkasten gegen die Abwanderung

Kuba Dem kreativen Nachwuchs fehlt es an Jobperspektiven. Das soll sich mit dem InCubator ändern – einem Kooperationsprojekt zwischen der Universität Havanna und einem Partner aus Zeiten des Kalten Kriegs: der Humboldt-Universität Berlin

Gleiche Farbe, aber mehr als 200 Jahre Altersunterschied: Die Universität Havanna wurde 1728 gegründet, der Oldtimer Mitte des vorigen Jahrhunderts gebaut

Aus Havanna Knut Henkel (Text und Foto)

Die Wirtschaftswissenschaftler der Universität Havanna haben einen Wettbewerbsvorteil: Wenn sie künftig Geschäftsmodelle entwickeln, können sie dafür Videokonferenzen einberufen, Skype-Interviews führen oder in Windeseile im Netz surfen. Keine Selbstverständlichkeit in Kuba. Die High-Speed-Internetleitung ist der große Trumpf des ersten Inkubators im Land. Er soll WissenschaftlerInnen mit pfiffigen Ideen zu Unternehmern machen.

Osmel Cruzata von FabLab ist so einer. Er hat mit seinem dreiköpfigen Team eine antike Laterne aus der Altstadt Havannas rekonstruiert. Die Materialwissenschaftler scannten ein kleines Stück des Originals, rechneten die Maße auf die Gesamtgröße hoch und stellten mit Hilfe eines 3-D-Drucks eine Gussform her. „Letztlich bietet FabLab alles für ein 3-D-Prototyping an“, lobt René Strien die Idee. Der Deutsche arbeitet in der ersten 3-D-Druckerei Berlins und hat die Entwicklung der Geschäftsidee vom FabLab begleitetet und analysiert.

Deutscher Wirtschafts­pädagoge organisiert

Strien ist nicht der einzige Deutsche, der kubanische Geschäftsideen bewertet. Wirtschaftspä­dagoge Jan Ehlers hat ehrenamtlich im Auftrag der Humboldt-Universität Berlin in den vergangenen Monaten insgesamt sieben Teams aus Havanna beraten. So viel hat die Universität zur ersten Runde des Inkubators zugelassen. Und dessen Aufbau hat Ehlers – im Auftrag seiner Uni – mit­organisiert. Seit Herbst letzten Jahres ist im 13. Stock der Wirtschaftsfakultät der Universität Havanna, einer langjährigen Partner-Uni der HU, die erste Ideenschmiede eingerichtet worden. Schon zu DDR-Zeiten kooperierten die beiden Hochschulen, in den vergangenen Jahren wurde das Alumni-Netzwerk wiederbelebt, und alljährlich im September tauschen sich deutsche und kubanische Ökonomen bei der Summer School in Havanna aus.

Nun also der Inkubator, der offiziell InCUBA.uhhu heißt und aus Mitteln des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) mitfinanziert wird. Die sieben ausgewählten Projekte, die vier Monate lang getestet wurden, stellten sich im April potenziellen Investoren vor. Vizedirektorin Vilma Hidalgo setzte bei der Gelegenheit die Messlatte hoch an: „Ziel ist es, Innovation voranzutreiben und Ideen von der Forschung in die Produktion zu tragen.“

In kurzen, pointierten Vorträgen präsentierten Informatikstudenten wie Alejandro Piad, erfahrene Wissenschaftler wie Amisel Almirall und Dozenten ihre Geschäftsideen, die zu Unternehmensgründungen an oder abseits der Universität führen können und sollen. „Wir wollen, dass unsere Talente im Land bleiben, dass derartige Projekte in Kuba realisierbar und an unseren Universitäten weiterverfolgt werden können“, erklärt Vilma Hidalgo

Der engagierten Vizerektorin ist anzumerken, dass ihr das Projekt am Herzen liegt. Und der Zukunft der Wissenschaftler im eigenen Land. Viele Kubaner finden nach dem Abschluss keinen vernünftig bezahlten Job. Fast jeder zweite Absolvent der Informatikuniversität (UCI) ginge direkt nach dem Abschluss ins Ausland, pflichtet Wirtschaftswissenschaftler Juan Triana, ebenfalls Mentor beim Inkubator-Programm, bei. „Wir bilden faktisch für die USA aus. Das tut weh.“

Das soll sich ändern. Mehr Spielraum, mehr Beratung und mehr Förderung soll es zukünftig in Kuba geben – für die Gründung privater Unternehmen aus dem universitären Spektrum, aber auch für Angebote universitärer Institute, die in ihren Werkstätten auch für den nationalen Markt produzieren könnten. Letzteres ist beispielsweise die Maxime des FabLab-Teams um Osmel Cruzata. Die wollen an der Uni für den Markt produzieren, Prototypen herstellen, Geld für sich, aber auch für die Universität verdienen. Ob und wie das geht, muss sich erst noch zeigen.

Das ist nicht einfach, denn Kuba ist ein hoch bürokratisches Land, in dem die Mühlen manchmal im Schneckentempo malen. Unirektorin Hidalgo erkennt darin sogar eine Mentalität – die sie ändern will. Deshalb engagiert sie sich so für den Inkubator, dafür, dass gemeinsam überlegt wird, wie sich gute Ideen trotz aller Widerstände realisieren lassen. Wie die des Biograft-Teams um Amisel Almirall. Dessen Granulat für den zahnmedizinischen Knochenaufbau hat in klinischen Tests so gut abgeschnitten, dass das Gesundheitsministerium grünes Licht für die Produktion gab und ein neues Labor für die Universität Havanna finanzieren will.

Eine faustdicke Überraschung. Und ein erster Erfolg des Pitch vom 15. April, wo sich das Biograft-Team genauso vorstellte wie das „Aerial Drone Inspektion“-Team von David Darias. Der plant durch den Einsatz von Drohnen die Inspektion von Solar- oder auch Windkraftanlagen in Kuba zu revolutionieren.

Das könnte genauso Realität werden wie die Metro App. Letztere zeigt Nutzern an, wo der nächste Bus oder das nächste Sammeltaxi anzutreffen ist. Der Clou: Dafür müssen die Nutzer nicht mal online sein. Das ist für Kubaner interessant, aber auch für Touristen. Auf das Potenzial der Idee für den Tourismus musste Jan Ehlers das Team um Eduardo Sánchez erst aufmerksam machen.

Genau das ist die Aufgabe der Mentoren. Zu denen gehört seit Anfang Mai nun auch der Axel Springer Plug and Play Accelerator, der Kreative, Hochschulen oder Unternehmen in mehr als 40 Ländern fördert. Der Kontakt ist wie auch im Fall von René ­Strien über Jan Ehlers zustande gekommen. Von der Universität Havanna wird der Ausbau des Mentorennetzwerks ausdrücklich begrüßt, und Ehlers ist froh über den Zuwachs an Beratern. „Mit dem Inkubator schaffen wir einen Raum für Innovation. Wie weit die reicht, hängt von der Vision und entschlossenen Umsetzung der Kubaner ab“, erklärt Ehlers, der Ende April nach Berlin zurückkehrte.

Die Vorbereitungen für die zweite Runde des Inkubators laufen bereits. Im September sollen die neuen Projektideen vorgestellt werden. Und das Modell funktioniert: Im Mai hat der Design-Inkubator „Kuba de­signet und wächst“ seinen Gründerwettbewerb gefeiert.

Inkubatoren sind auch in Deutschland wichtig

Für Kuba und seine Kreativen sind Inkubatoren eine Chance, für die Universitäten Praxistest und Prestige. So sind die bolivianischen Städte Oruro und Co­cha­bamba Stolz auf die Kooperationen mit der renommierten Technischen Universität Berlin.

Wie wichtig Inkubatoren auch für deutsche Hochschulen sind, zeigt das Beispiel der Leuphana Universität Lüneburg. Der dortige Inkubator hat zwischen 2009 und 2015 550 zusätzliche ForscherInnen nach Niedersachen gebracht, zwölf direkte Firmengründungen ini­tiiert und weitere 60 Gründungen begleitet.

So einen messbaren Erfolg wünscht sich Jan Ehlers auch für InCuba.uhhu. „Das ist das zentrale Kriterium, aber Inkubatoren sorgen auch für Bewegung. Sie sorgen für ein Umdenken, und das schafft Dynamik“. Das ist in Kuba durchaus gewünscht – zumindest an der Universität Havanna.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen