: Schlösser ausgetauscht
RäumungDer Träger der Kinderfarm Wedding wurde trotz Protesten von Eltern und Kindern mit Polizeihilfe geräumt
von Peter Nowak
Um 10 Uhr stand am Montag die Gerichtsvollzieherin in Polizeibegleitung vor dem Eingang der Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße, um den bisherigen Träger zu räumen. Doch zunächst war kein Durchkommen. Ein Auto versperrte den Zugang. Dahinter hatten sich rund 250 Menschen versammelt und deutlich gemacht, dass sie die Amtspersonen nicht auf das Gelände lassen wollten.
Nachdem die Polizei das Tor aufgestoßen hatte und einige der Personen zur Seite schubste, erklärte der langjährige Mitbegründer der Kinderfarm, Siegfried Kühbauer, die BesucherInnen zu seinen Gästen. Sie mussten fast zwei Stunden in Kühbauers Wohnung auf dem Gelände ausharren. In dieser Zeit wurden sämtliche Schlösser an den Gebäuden der Kinderfarm ausgetauscht. Kühbauer ist es untersagt, seinen Arbeitsplatz zu betreten, den er seit 1988 mit aufgebaut hat.
„Kinder haben Rechte“
Am 24. Mai 1983 wurde der Weddinger Kinderfarm e. V. gegründet, die Kinderfarm liegt an der Ecke Tegeler und Luxemburger Straße. Die Einrichtung wurde im Rahmen der sozialen Stadtentwicklung vom Quartiersmanagement unterstützt.
Am Montag wurde der Träger Weddinger Kinderfarm e.V., der 2013 sein 30-jähriges Bestehen feierte, geräumt. Der Bezirk hat einen anderen Träger. Die Tiere werden weiter versorgt. (heg)
Auch Stunden später ist das Unverständnis angesichts der Räumung unter PassantInnen groß. Ein Mittdreißiger berichtet, wie er als Kind hier seine Freizeit verbracht hat. Daneben steht eine Mutter mit zwei Kindern. Sie halten ein Schild mit dem Spruch „Kinder haben Rechte“ in die Höhe“. Auf Transparenten, die am Zaum angebracht sind, heißt es: „Kids besetzen für den Kiez“. Tatsächlich hatten rund 40 UnterstützerInnen, darunter Kinder mit ihren Eltern, auf dem Areal ihre Zelte aufgeschlagen und übernachtet.
„Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass die Polizei sich gewaltsam in der Weddinger Kinderfarm Zutritt verschafft“, meint auch Sarah Waterfeld. Die im Wedding geborene Schriftstellerin hat in ihrer Kindheit den Bauernhof mit seinen Ponys, Hühnern, Ziegen und Meerschweinchen regelmäßig besucht. Seit Monaten hat sie sich dafür engagiert, dass Siegfried Kühbauer seine Arbeit fortsetzen kann. „Ich befürchte, dass es dem Bezirk darum geht, Zugriff auf das lukrative Grundstück zu bekommen“, sagt sie.
Waterfelds Befürchtung teilen viele der UnterstützerInnen des alten Trägers. Die Erklärung der zuständigen Bezirksstadträtin von Mitte, Sabine Smentek, kann sie nicht beruhigen. Sie wirft den bisherigen Trägern der Kinderfarm vor, sich geweigert zu haben, öffentliche Mittel abzurechnen. Kühbauer bestätigt, dass in einem Fall Rechnungen zu spät abgerechnet wurden, weil der Kassenwart überlastet war. In der harten Haltung des Bezirks sieht er eine Retourkutsche, weil er als Mitbegründer des Arbeitskreises Kinder- und Jugendarbeit im Berliner Bezirk der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi heftige Kritik an der Politik von Senat und Bezirk geäußert hat.
Wie es jetzt mit der Kinderfarm weitergehen soll, ist völlig offen. Die Bezirksstadträtin Smentek bittet die bisherigen NutzerInnen, den neuen Träger „Kinderbunte Bauernhof Wedding e. V.“ zu unterstützen. Die protestierenden Eltern und Kinder äußern offen, dass sie kein Vertrauen in dessen Arbeit haben.
Derweil zeichnen MitarbeiterInnen des Bezirksamts mit weißer Farbe den Weg ein, den Kühbauer zu nehmen hat, wenn er in seine Wohnung will, die im hinteren Teil des Areals liegt. Wenn er sich außerhalb der Linie bewegt, könnte ihm eine Anzeige drohen.
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