: „In Brasilien wird immer gefeiert“
Theater-Performance Im Rahmen des Festivals „Projeto Brasil/The Sky Is Already Falling“ drehte sich bei den SchülerInnen der Hector-Petersen-Schule alles um das Thema „Identität“
Zu Beginn ihrer Performance „Mas que nada – Was soll’s?“ stifteten die Jugendlichen auf der kleinen Bühne des HAU 3 erst mal Verwirrung. Sie nannten die Namen von Städten wie Aracaju, Salvador oder Rio de Janeiro. Die Reise ging nicht nur durch verschiedene Orte, sondern auch zu Fernsehsendern und Radiostationen – und einige von ihnen mussten unterwegs Zwischenstopps im Gefängnis einlegen.
Wer unter den Gästen im HAU 3 an diesem Punkt immer noch auf dem Schlauch gestanden haben sollte, dem dürfte dann aber spätestens beim „Frei Parken“ ein Licht aufgegangen sein: Hier wurde Monopoly gespielt. Die SchülerInnen der Klasse 7B2 (12 bis 14 Jahre) der Hector-Petersen-Schule wollten – als Einstieg in ihre Performance – dem Publikum in Form dieses Spiels zeigen, was sie über Brasilien wissen, was sie mit diesem Land in Verbindung bringen – und ob dabei Geld, um das sich in Monopoly alles dreht, überhaupt eine Rolle spielt.
Die Hector-Petersen-Schule und das Theater Hebbel am Ufer haben schon häufiger zusammen Projekte ins Leben gerufen; die an diesem Abend aufgeführte Performance fand im Rahmen des Festivals „Projeto Brasil/The Sky Is Already Falling“ statt.
Der Fußball ist richtig gut
Viel wussten die SchülerInnen nicht über das Land: „Es gibt dort sehr viele sehr reiche und sehr viele sehr arme Menschen“, „Viele Menschen haben keine Arbeit“ oder auch „Die Menschen nehmen dich dort so, wie du bist, die machen keine Unterschiede“ und „Der Fußball ist richtig gut!“. Auf inhaltlicher Ebene bestätigten diese Informationen zunächst einmal das eigene Halbwissen und offenbarten die Beschränktheit der eigenen Wahrnehmung. Jedoch verrieten sie durch die sympathisch-verlegene Art und Weise, wie sie vorgetragen wurden, unheimlich viel über die Jugendlichen selbst: Wie sie sprechen, denken und fühlen, welches Verhalten okay ist und was gar nicht geht.
Die Beschreibungen Brasiliens wurden unterbrochen von Tanzeinlagen der SchülerInnen, die an Samba erinnerten und gleichzeitig doch ihren ganz eigenen Stil hatten.
Auch die Zwischenstopps im Gefängnis fanden ihre Entsprechung auf der Bühne: Die Jugendlichen wurden aufgrund von Betrug, Einbruch oder Drogenschmuggel festgehalten – Delikte, deren Dimension durchaus eine internationale ist und die sich keineswegs auf „Nationen“ begrenzen lassen.
Am Ende des nur dreißig Minuten dauernden Stückes wurde der Spieß einmal umgedreht: Die Mädchen und Jungen, die kurz zuvor noch von Brasilien als einem ihnen nahezu unbekannten Land gesprochen hatten, bezeichneten sich plötzlich selbst als BrasilianerInnen und erzählten kleine Anekdoten von ihren Familien, die dort lebten: „Wenn ich meine Familie in Brasilien besuchen gehe, dann wird dort immer gefeiert. Ehrlich, die feiern immer, egal, ob es einen Grund gibt oder nicht“, erzählte eine Schülerin.
Was hier zunächst einmal für Verwirrung sorgte, hat im Grunde absolut nichts Verwunderliches, das wurde sehr schnell deutlich. Wer ist denn überhaupt BrasilianerIn? Was bedeutet „nationale Identität“? Sind das nicht alles nur konstruierte Systeme, in denen wir denken?
Letztere Frage wurde an diesem Abend durch die Performance der SchülerInnen ganz klar mit Ja beantwortet. Wie auf dem Monopoly-Feld lässt sich auch mit Identitäten und Kategorisierungen spielen, und so, wie das Spiel nach einem bestimmten System funktioniert, passiert es auch oft mit unserer eigenen Wahrnehmung. Dies wurde den ZuschauerInnen an diesem Abend auf sehr erfrischende Weise noch einmal ins Bewusstsein gerufen.
Annika Glunz
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