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Schon 16 Stunden hungern hilft

FASTEN Durch Nahrungsverzicht lässt sich körperlicher und seelischer Ballast loswerden. Doch Heilfasten kann noch mehr als das

Mehrere Tage lang nichts essen – für viele von uns ist das kaum vorstellbar. Dabei kommt ein normalgewichtiger Mensch 40 Tage und mehr ohne Nahrung aus, bei Übergewichtigen reichen die Reserven noch länger. „Der Körper ist evolutionsbiologisch viel mehr darauf ausgerichtet, mal eine Weile nichts zu essen, als alle paar Stunden gefüttert zu werden“, sagt Andreas Michalsen, Chef der Integrativen Medizin an der Charité Berlin. Immer wieder zwangen Dürren oder Kälteeinbrüche Menschen zum Hungern, das sei Teil der Natur. „Die ständige Verfügbarkeit von Nahrung hingegen ist relativ neu und unnatürlich“, so Michalsen.

Der Forscher, der selbst regelmäßig fastet, weiß um die Heilungskräfte des Nichtessens: Es verjüngt den Körper, kann hohen Blutdruck senken, Diabetes und chronische Schmerzen heilen. Derzeit untersuchen Mi­chal­sen und seine Kollegen in weltweiten Studien, ob Fasten möglicherweise auch die Chemotherapie bei Krebs verträglicher macht und bei Demenz hilft – und vieles deutet darauf hin. Eine der ältesten Therapieformen der Geschichte ist wieder brandaktuell.

Vor rund hundert Jahren heilte der Arzt Otto Buchinger sein starkes Rheuma, indem er nur Gemüsebrühe und Obstsäfte zu sich nahm. Seine Trinkkur zählt heute zu den beliebtesten Fastenmethoden und wird in der Buchinger-Klinik am Bodensee unter ärztlicher Aufsicht praktiziert – aber auch in Fastenwandergruppen, in Klosterseminaren oder zu Hause in Eigenregie.

Beim Fasten stellt der Körper von äußerer auf innere Ernährung um. Das kann zwei bis drei Tage dauern und von Kopfschmerzen und Übelkeit begleitet sein. Hilfreich ist, wenn der Darm zu Beginn geleert wird – mit Glaubersalz und Einläufen –, damit das Hungergefühl verschwindet. Lebt der Körper „aus sich heraus“, fühlt sich der Fastende bald leicht und frei: Essen ist Arbeit für den Körper, Fasten ist Erholung. Für Darm, Leber, Bauchspeicheldrüse. Die Zellen haben „Urlaub“ und können sich besser regenerieren. Der Körper recycelt sich quasi selbst. Viele Fastende erfahren zudem ein regelrechtes Hochgefühl, da ihr Organismus vermehrt den stimmungsaufhellenden Botenstoff Serotonin ausschüttet.

„Fasten ist mehr als nicht essen“, sagt auch Andreas Mi­chal­sen: „Der Mensch merkt: Ich brauche gar keine Nahrung. Und meine Schmerzen werden besser, ohne dass ich auf Medikamente angewiesen bin. Mein Körper heilt sich selbst. Das ist eine einschneidende psychologische Erfahrung.“

Unter Schulmedizinern ist Heilfasten umstritten. Vor Muskelabbau – insbesondere am Herzen – wird gewarnt, vor Übersäuerung und Mangelerscheinungen. Andreas Mi­chalsen rät vom Fasten ab, wenn Essstörungen, etwa Bulimie, vorliegen, oder bei starkem Untergewicht. „Bei Leber- oder Nierenerkrankung sollte man zudem nur unter ärztlicher Aufsicht fasten.“

Auch kurze Fastenphasen zeigen Studien zufolge Wirkung. Bereits 16 Stunden Nahrungsverzicht genügen, um die zelluläre Müllabfuhr auf den Plan zu rufen und Selbstheilungskräfte anzukurbeln. Wer gelegentlich Abendessen oder Frühstück ausfallen lässt, tut sich also Gutes. Katja-Barbara Heine

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