Das Fürchten lehren
Was geschieht da? Nichts ist doch so wertvoll, wie in einem Land zu leben, in dem Bürger und Politiker keine Angst haben müssen
„Wir werden dich rösten“
Hass Rechte Pöbler, türkische Nationalisten und scheinbar biedere Bürger überziehen derzeit hierzulande Bundestagsabgeordnete und andere Politiker massiv mit Morddrohungen. Vier Betroffene berichten in der taz über ihre Erfahrungen
von Konrad Litschko
und Tobias Schulze
BERLIN taz | Den Abgeordneten reicht es: Der Bundestag diskutiert noch in dieser Woche über Drohungen gegen türkischstämmige Parlamentarier. Die Linkspartei hat die Debatte beantragt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach zuvor von Angriffen „auf das ganze Parlament und unsere Demokratie“. Darauf werde man reagieren: „Mit allen Möglichkeiten der Gesetze“.
Auch das Auswärtige Amt kritisierte die Verbalattacken. Es lud den türkischen Geschäftsträger am Dienstag zu einem „Gespräch“. Die jüngsten Äußerungen aus der Türkei seien „mit Unverständnis aufgenommen worden“, hieß es.
Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan hatte zuvor elf Bundestagsabgeordnete mit türkischem Familienhintergrund als „Sprachrohr“ von Terroristen bezeichnet. Seit Wochen werden diese Politiker angefeindet, weil sie die Armenien-Resolution im Bundestag unterstützen, die erstmals den Völkermord an den Armeniern vor hundert Jahren und die deutsche Mitverantwortung daran verurteilt. Vor der Wohnung des Initiators der Resolution, Cem Özdemir (Grüne), stehen nun mehr Polizisten. Mehrere Abgeordnete berichten von Morddrohungen. Es sind längst keine Einzelfälle mehr: Auch aus der deutschen rechten Szene werden Politiker seit Beginn der Flüchtlingsdebatte vermehrt mit Gewaltandrohungen überzogen. 107 Straftaten gegen Mandatsträger gab es 2015. Dazu gehört auch das Messerattentat auf die parteilose Henriette Reker, damals Oberbürgermeisterkandidatin in Köln. Der Täter begründete seinen Angriff mit seiner Wut auf Riekers Flüchtlingspolitik.
„So viel Rohheit wie heute habe ich nie erlebt“, sagte dieser Tage Justizminister Heiko Maas (SPD) der Bild. An manchen Tagen erhalte er 500 Zuschriften, darunter Morddrohungen „mit Ort, Datum, Uhrzeit“. Einmal landete eine 9-Millimeter-Patrone im Briefkasten seiner Privatwohnung. Maas ist ein scharfer Kritiker von Pegida und AfD – und dort besonders verhasst.